Montag, 9. Oktober 2017

In eigener Sache

Abwesenheitsnotiz

Gesehen in Frankfurt a.M.

In den nächsten Wochen mache ich Blog-Pause.

Die kommenden Wochen verbringe ich im Klinikum Bad Cannstatt. Dort darf ich mein zweites Intervall absolvieren. Der letzte Aufenthalt liegt nun fast 1 Jahr zurück. In den Monaten seither habe ich weiter an mir gearbeitet und einiges bewegt und verändert. Wie die vergangenen Wochen und Tage zeigen, bin ich trotzdem nicht gesund und warum ich diesen Blog "fressbefreit" genannt habe, leuchtet mir selbst nicht mehr ein. Befreit bin ich noch nicht - ich nehme diesen Titel heute darum einfach als gutes Omen.
Ich bin gespannt, welche Türen für mich noch aufgehen, ob ich stets einen Notausgang finde, wenn's zu schwer wird. Anschließend berichte ich an dieser Stelle. Ich bin aufgeregt!

Die Tentakel der Bulimie

Die große Angst


Mit der Anorexie kommt die Bulimie. Die Toiletten jagen mich. Beschreibung einer Attacke mit unerwartetem Ausgang.
 

 

Auf meinem Küchentisch steht eine Tortenplatte.

Seit Samstag esse ich wieder, das Wochenende mit der Familie hat den Knoten durchschlagen und die gemeinsamen Mahlzeiten führten zu einer regelmäßigen Nahrungsaufnahme, d.h. ich habe kleine Portionen gegessen und mich dabei an meinem jüngsten Sohn orientiert. Allerdings habe ich die Kohlenhydrate fast weg gelassen, Gemüse und Getränke in Mengen zu mir genommen. Ganz nach alten Mustern und Gesetzen. Erstmal gut, glaube ich. Doch am Sonntag bekamen wir ein Geschenk.

Auf meinem Küchentisch steht eine Tortenplatte mit einem vollständigen Käsekuchen.

Ich liebe Käsekuchen, schon immer: Der Geschmack ist wunderbar zartcremig. Und: Die Konsistenz eignet sich hervorragend zum Verschlingen, mit der entsprechenden Flüssigkeitsmenge gemischt auch bestens zum Erbrechen. Ein ganzer Käsekuchen geht locker rein und wieder raus. Dann noch eine Tafel Lieblingsschokolade, damit sich die Anstrengung hinterher auch richtig lohnt. Ich tigere durch die Küche, immer wieder um den Tisch herum. Ich decke den Kuchen auf und wieder zu. Wie von außen sehe ich mir dabei zu und lache mich kaputt.

Auf meinem Küchentisch steht eine Tortenplatte mit einem halben Käsekuchen.

Der Zucker, die Creme, der Keksboden haben unentwegt nach mir gerufen, mich gelockt und an mir gezerrt. Die Option Toilette besteht nach wie vor, mit geöffnetem Maul jagen mich die Klos mit ihren hochgeklappten Toiletten-Deckeln. So einfach und schnell könnte es gehen... Ich trinke eine Flasche Sprudel und zwei Gläser Rotwein, ich schaue einen Film und kann mich an die Handlung nicht erinnern. Aber ich weiß, dass ich ständig in der Küche war. Jetzt gibt es nur noch einen halben Käsekuchen, ein Viertel verwertet der Stoffwechsel meines Mannes, das andere Viertel macht mich fett. 

Ich will nicht erbrechen. Ich werde nicht erbrechen.

Heute steht der halbe Käsekuchen immer noch da. Ich bin alleine zuhause. Scheißescheißescheiße: Gefahr, Angst, Panik, die Tentakel der Bulimie haben nach mir gegriffen und mich gepackt. Aber ich konnte sie gestern abschütteln. Ich habe nicht erbrochen. Ich habe zwar zu viel Kuchen gegessen, aber ich konnte aufhören. Das war keine Glanzleistung und einfach schon gar nicht, der ganze Abend stand unter dem Einfluss des Käsekuchens, für anderes blieb gar kein Raum. Trotzdem habe ich es wirklich geschafft - und ich werde auch die nächste Attacke wieder abwehren. Fast schaue ich mit neuem Mut nach vorne und staune über mich selbst.

Freitag, 6. Oktober 2017

Innensicht

So viele Fragezeichen


Ein Versuch, Mut zu machen, in einem Moment, der das so gar nicht zulassen will.

 

Aus der Übung?

Ich wünschte, ich könnte mein Inneres ansehen und verstehen. Nein, nicht das Wunder von Magen- und Darm-Zusammenspiel oder die Komplexität des Blutkreislaufs. Sondern ich meine, wie innerstes Herz und tiefster Verstand funktionieren, einander beeinflussen und wie ich sie steuern oder auch Unbegreifbares annehmen kann. Geht das überhaupt? Ich glaube, einen kleinen Eindruck davon, wie es gehen könnte, habe ich meinem Therapeuten zu verdanken. Er ließ mich mehrfach in meinen Körper reisen: Durch eine kleine Spiegelscherbe hindurch einen Eingang finden, dann einen Ort des Wohlfühlens in mir selbst entdecken. Aber ich schaffe es nicht allein.  

Was ist es, das mich nieder drückt? 

Der Krankenhausaufenthalt hat mich mehr mitgenommen als erwartet, sowohl körperlich als auch seelisch. Ich bin echt aus der Spur und habe im Augenblick keine Idee mehr, wie ich mein fragiles Gleichgewicht zurückerlangen soll. Statt dessen haben sich die Tentakel der Magersucht meiner bemächtigt, in vollendeter Perfektion hat mich das Essenwollen (oder -können?) verlassen. Ich sehe die Scherben meiner Innensicht und finde keinen Zugang zu mir, von einer Reparatur bin ich noch allzuweit entfernt. Und ergebe mich meiner Sucht. Das wiederum schockiert mich völlig, dachte ich doch, ich sei schon sehr viel weiter.

Kontrollverlust und Ausgeliefertsein?

Vermutlich sind das zwei meiner Schlüsselwörter: Kontrollverlust und Ausgeliefertsein. Im Krankenhaus musste ich mich der Kompetenz der Ärzte und Pflegekräfte ergeben, auch körperlich völlig entblößt für einen operativen Eingriff, der genauso ein Eingriff in mein Innerstes war. Als ich vor Angst von der Liege springen wollte, wurde ich festgehalten. Als ich ein Schlafmittel erbat, bekam ich eine Tablette zur Beruhigung. Mit Sicherheit alles zu meinem Besten und niemals als Angriff gemeint. Und doch so ausliefernd. Vielleicht reagiere ich mit der einzigen, für mich stets funktionierenden Methode: Mit meiner Sucht. Hier muss ich in der Therapie sicher noch einmal besonders draufschauen.

Warum notiere ich das?

Indem ich diesen Text aufschreibe, kläre ich für mich, wo ich stehe. Indem ich diesen Text freischalte, stelle ich mich bloß. Indem ich zulasse, dass ein Außen diesen Text liest, erlaube ich ein Miterleben, Mitfühlen, vielleicht Kopfschütteln und Unverständnis. Letzteres ist mir wenngleich nicht egal, so doch unwichtig. Ich bin sicher, dass ich einen Weg hinaus finde aus diesem Loch. Daran will ich weiterhin glauben. Und indem ich diesen Text aufschreibe, erkläre ich mir selbst, dass es ihn gibt für mich, diesen Weg. Diese eine besondere Scherbe. Diese Innensicht.

Mittwoch, 4. Oktober 2017

Die Tentakel der Magersucht

Körperlos Tränen essen


Die Tentakel der Magersucht greifen nach mir.

Edvard Munch: Der Schrei
Warum brauchen wir noch mehr? Warum sind Tränen nicht ausreichend? Ich habe aufgehört zu essen. Bin ich zu müde? Ist mir übel? Sind die elenden Kopfschmerzen der Grund? Etwas ist anders. Die Tentakel sind wieder da, die Tentakel der Magersucht greifen nach mir. Ich will sie abstreifen, aber ich schaffe es nicht. Will ich es wirklich? Janeinjanein. Dabei sehe ich doch genau was passiert. Mein Bauch ist flach, mein Kopf schmerzt. Seit Tagen habe ich fast nichts gegessen. Ich bin umschlungen und es ist kein schönes Gefühl. Trotzdem fühle ich mich leicht und stark, eine zutiefst herbeigesehnte Empfindung. Ich will schreien und bleibe doch still. Wer soll mich hören, wenn ich nicht Laut gebe bei denen, die mich lieben?

Am liebsten wäre ich körperlos. Meinen Körper los.

Ich verstehe ihn ja sowieso nicht: Kommen die Schmerzen im Unterleib von der Operation oder ist es der normale monatliche Verlauf? Bin ich wirklich müde oder stelle ich mich nur an? Habe ich schon abgenommen oder nicht? Die Hose schlackert zwar, aber im Spiegel bin ich rund wie stets. Habe ich nun Hunger oder was ist das? Der Appetit fehlt mir jedenfalls völlig, glaube ich zumindest. Wieviel einfacher wäre es doch, wenn mein Körper und ich nicht zusammengehörten.

Warum sind Tränen nicht ausreichend?

Ich stehe in der Küche und weine. Ich schaue in den Kühlschrank, zum Obst, zur Schokolade. Meine Söhne brauchen ein gutes Mittagessen. Aber ich bin wie gelähmt und weiß einfach nicht, wie es geht. Mir reichen meine Tränen, die nicht aufhören wollen zu laufen. Viel zu anstrengend, meine Gedanken zu sortieren, meine Arme und Hände zu steuern, Gemüse zu schneiden, Essensgerüche um mich zu haben. Was soll ich bloß tun. Ich hasse sie, die Tentakel, und heiße sie doch willkommen. Ich halte es kaum aus.
Die Angst schlägt zu und drückt mich nieder. Ich weiß nicht weiter.

Zeit für eine Pause

Umbrüche. Abschiede. Ich ziehe mich zurück, der Blog macht Pause. Gründe dafür gibt es viele, der Wichtigste: Mit dem Essen komme ich zurech...