Freitag, 29. Dezember 2017

Körperliche Symptome

Neue Reaktion. Ein neues Muster?


Gestern abend kam es zu einem massiven Streit. Ich bin fürchterlich betroffen und mitgenommen, obwohl ich gar nicht Mittelpunkt der Auseinandersetzung war. Aber: 

Mein Körper reagiert anders.

Mir ist übel, ich bin trotz des Durcheinanders in meinem Kopf eingeschlafen und einigermaßen ausgeruht aufgewacht, das Gedankenkarussel dreht sich erst jetzt wieder und hat mich heute Nacht in Ruhe gelassen. Neu ist: Ich verspüre keinen Fressdruck (ja, dafür gibt es einfach kein netteres Wort), die Übelkeit lässt mich gar nicht an Essen denken. Eher liegt mir die Stimmung wie ein Stein im Magen. Ich bin todtraurig, weil die Situation ungeklärt ist und mich natürlich auch betrifft. Ich verbuche meine neue körperliche Reaktion als Zeichen, dass ich meinen Körper etwas besser verstehe, dass ich nicht sofort essen muss, sondern - so fühlt es sich an - diesen Schritt überspringen und einen anderen Umgang finden könnte. Zu viel Kauderwelsch?

19:00 Uhr, Nachtrag am Ende vom Tag.

Ich bin DOCH Mittelpunkt der Auseinandersetzung, ich war nur zu blöd es zu verstehen. Mir ist der Appetit vergangen. Auch das ist ein ziemlich neues Empfinden für mich. Ich habe krampfhaft an meiner Tagesstruktur mit geregelten Mahlzeiten festgehalten, für entsprechende Energie gesorgt - auch ohne Appetit. Ziemlich lustlos habe ich außerdem irgendwann 7 (!) übrig gebliebene Weihnachtskekse gegessen. Geschmeckt haben sie zwar nicht, aber irgendwie musste das sein und mehr wurden es nicht, obwohl es Möglichkeiten gegeben hätte. Vermutlich ist in all' dem Schrecklichen mein Umgang mit dem Essen gar nicht so schlecht. Es könnte schlimmer sein.

Donnerstag, 28. Dezember 2017

Zwischenbilanz

Noch kein Jahresabschluss, aber fast.


Die Weihnachtstage sind geschafft, Zeit für eine kurze Zwischenbilanz.

 

Drangeblieben. Ziele teilweise erreicht.

Weihnachtstagebuch
Vielleicht waren meine Ziele ambitioniert, vielleicht habe ich selbst nicht ganz dran geglaubt. Ziele teilweise erreicht: Ess- und Wiegeprotokoll habe ich geführt; alles im Rahmen trotz Festessen, Alkohol und ein paar Keksen. Einen Strafzettel musste ich leider auch ausfüllen. Die Analyse des Vorfalls war ernüchternd: Total unnötig, widerstandslos habe ich es einfach geschehen lassen; es war nichtmal ein richtiger Fressanfall; Quälerei ohne Sinn, die sich überhaupt nicht lohnte. Überspitzt formuliert. Fotos von meinen Mahlzeiten habe ich nicht gemacht; damit falle ich immer so auf, dass es mir unangenehm ist, weil ich fürs Fotografieren keine gute Erklärung ausgraben kann. 

Weihnachten war schön!

Obwohl das Essen wieder so im Fokus meiner Aufmerksamkeit steht und stehen muss, habe ich schöne Weihnachtstage erlebt. Ich konnte mich entspannen, mit den Kindern und der Familie, mit Besuch und Freunden lachen und lustig sein, mich an so Vielem freuen. Dafür bin ich dankbar! Dieses Erleben ist ganz, ganz echt, glaube ich, es kommt tief aus mir heraus. Ich hatte auch den Mut, ehrlich zu gestehen, wie es mir geht, und kurz in mich hinein schauen zu lassen. Kleine Schritte sind also möglich. Ich wünsche mir mehr davon.

Sonntag, 24. Dezember 2017

Schlüsselsätze: Standards einhalten

Ins Tun kommen: Regeln befolgen, Standards einhalten, einfach nur ins Tun kommen!

Darüber habe ich schon geschrieben - im Hinblick auf die körperliche Aktivierung. Natürlich gilt dieser Schlüsselsatz insbesondere auch für den Umgang mit dem Essen, täglich, bei jeder Mahlzeit, in jeder Essens-Situation.

Ins Tun kommen...

Verführung im Büro.
... ist immer noch oder immer wieder verdammt schwer für mich. Aber ich will es versuchen. Nach meinem erneuten Erbrechen umso mehr. Ich habe diesbezüglich viele Baustellen. Als stille Meisterin der Vermeidung kenne ich natürlich meine Wege, diese Baustellen zu umgehen. Alles nur Umwege. Ich muss dahin, wo die Angst ist. Noch so ein Schlüsselsatz.

Samstag, 23. Dezember 2017

Oh Du Verzweiflung

"Ich weiß auch nicht, warum die Therapie bei Ihnen nichts bringt."

Warum mich ein Telefonat mit der Krankenkasse verzweifelt zurück lässt. Und das so kurz vor Weihnachten.

Noch 7 Therapie-Einheiten, dann bin ich gesund.

Ich bin erledigt.
Mein Therapeut ist ein wunderbarer Mensch. Er weiß, was ich brauche und was mir guttut und kann mir die Richtung weisen. Selbst dann, wenn ich es nicht hören will, oder wenn er es zum hundertsten Mal sagen muss. Er kann strukturieren. Er ist ehrlich. Er kann seine Stimme verändern, so dass ich mich auch in schwierigsten Momenten gut aufgehoben fühle. Ich kann auch offen und ehrlich sein. Ich kann mich fallen lassen und aufgerichtet wieder raus gehen. Nur zaubern kann er auch nicht. Und so bleiben mir nur noch 7 Therapie-Sitzungen, die von der Kasse gezahlt werden. Zum Ehrlichsein gehört auch, dass er mir so etwas sagt. Für die sarkastische Kathrin heißt das: Noch 7 mal, dann bin ich also gesund.

Das finde ich zum Kotzen. Und genau das ist auch passiert.

Sonntag, 17. Dezember 2017

So zerrissen - so normal?

Zer-spannt im chilligen Wochenende


Lange geplanter Ausflug mit der Familie, Übernachtungen in der Jugendherberge, Hoffnung auf Schnee, Packen für alle Wetter, Zusammentreffen mit der Verwandtschaft zur Geschenkeübergabe vor Weihnachten, viel Essen und Trinken, viel Nett-Sein, Programm für alle Beteiligten. Ich bin gestresst.

Immer extrem. Immer mit dem Kopf. Manchmal ohne Verstand.

Bei der Mühlenweihnacht.
Es wird ein schönes Wochenende. Viel Zeit mit den Kindern, aber auch mit meinen anderen Lieben. Natürlich keine Zeit für mich. Aber das passt. Ich bin fröhlich, lache viel, vergesse mein Leben, freue mich an der Leichtigkeit, an der Natur, am Winter-Wetter, an Ruhe und Trubel. Ich kann essen und der Kopf macht mit: Er steuert Appetit und Sättigung und auch mein Lachen. Setzt der Verstand aus, ist mir hinterher übel, ist der Magen zu voll. Ich fühle mich erleichtert, bereichert, fast schon extrem Irgendwas. Aber was ist davon echt, was ist Bauch und Gefühl, was ist Kopf und Verstand, was ist spontan, was ist geplant, was ist ausgehalten, was ist Theater, was ist ECHT? Ich weiß, dass ich echt froh bin, als es rum ist, unser Großfamilien-Wochenende. Und dass mir meine Schwester jetzt schon fehlt. Das muss ich ihr echt mal sagen.


Was ist schon normal.

In der Dauerschleife.
Vermutlich bin ich einfach durchgeknallt: Keine Beziehung zwischen Kopf und Bauch, zwischen Verstand und Gefühl. Irgendwann abgeschnitten in den 1980er-Jahren. Und seither nicht mehr wieder verbunden. Oder nie verbunden gewesen. Darum abhängig vom Außen, wie die Anderen mich sehen und was die wohl von mir denken - vor allem meine Eltern, meine Familie und all' die Leute, für die ich immer alles so toll hinkriege. Vielleicht weiß ich gar nicht, wer ich bin, was ich will, was meine eigenen Gefühle sind? Vielleicht ist es aber echt normal, sich diese Fragen zu stellen? Und wenn die Anspannung zu groß wird, kaue ich mir die Fingernägel-Reste auch noch ab, dann spüre ich mich ganz ECHT. Das ist vermutlich gar nicht normal. Ich bin zerrissen und angespannt. Doch wieder habe ich etwas geschafft!

Dienstag, 12. Dezember 2017

So überraschend

In den Spiegel geschaut


Bei der Volkshochschule habe ich einen Einsteiger-Kurs "Fitness-Boxen" belegt: 4 Termine, jeweils sonntags vormittags für 2 Stunden. Perfekt zum Schnuppern, dachte ich.

Warum ausgerechnet Boxen?

Ich wollte das schon immer mal ausprobieren! In der Klinik habe ich einen Trommelkurs belegt. Himmel, das geht ja gar nicht: Mein fehlendes Rhythmusgefühl macht jeden Trommel-Termin zum Kraftakt. Kein Medium für mich. Da ich mir ein Hobby suchen möchte, da ich lernen will, meine Wut heraus zu lassen, da Boxen die allgemeine Fitness verbessern soll, wage ich also einen Versuch. Schön übersichtliche 4 Sonntage, vermutlich nettes, nicht allzu gestyltes Publikum, Bewegung, hoffentlich auspowern.

Dienstag, 5. Dezember 2017

So demütig und dankbar

Über den Tellerrand geschaut

Eine liebe Freundin von mir ist schwer erkrankt, lebensbedrohlich. Wir sind im gleichen Alter. Sie kämpft seit fast 1 Jahr gegen ihre heimtückische Krankheit und für ihr Leben. Und ich werde demütig.

Verbunden in Gedanken

Mehr ahne ich ihr Leid und ihr Leiden, als dass ich die Einzelheiten kenne. Wir sprechen uns wenig, aber nicht weniger als zuvor. In Gedanken jedoch bin ich oft bei ihr. Jetzt hat sie sich einen Baum im Friedwald ausgesucht - und ich bin zutiefst betroffen, diese Nachricht donnert hammerhart wie ein realer Schlag in meine Welt: Ihre Zeit könnte tatsächlich begrenzt sein, vermutlich ist das realistisch. Welch ein Mut, welch eine Kraft und Konsequenz offenbart sich in diesem Schritt. Meine Bewunderung ist unendlich. Und ich werde dankbar.

Ins Tun kommen 

Sie ist im Tun, jeden Tag aufs Neue muss sie sich auseinander setzen, Kraft finden für den nächsten Schritt nach vorne und für die vielen Tiefschlag-Schritte rückwärts. Beim Blick über meinen Tellerrand hinaus in ihre Welt werde ich sehr demütig angesichts der Herausforderungen, die mein eigenes Leben begleiten. Ich fühle mich geerdet und bin dankbar für meine Gesundheit, die ich retten kann. Wenn ich nur dran bleibe. Bei meiner Freundin ist das nicht so sicher. Von ihr kann ich ganz viel lernen.

Samstag, 2. Dezember 2017

Schlüsselsätze: Ein Überblick

Meine Schlüsselsätze.

Ich bin ein Schreiberling. In den letzten beinahe vier Jahren intensiver therapeutischer Erfahrungen sammelte ich meine Notizen in vier dicken Leitz-Ordnern. Was mache ich heute damit?

Ich finde die Perlen! 

Jetzt stecke ich fest in meiner Symptomatik und wühle mich durch meine Unterlagen mit dem Ziel, mir selbst Mut zu machen durch den Blick auf alte Hürden und deren erfolgreiche Überwindung. Dabei entdecke ich wahre Schätze, echte Perlen, Schlüsselsätze meiner Therapien.

Freitag, 1. Dezember 2017

Schlüsselsätze: Aktivierung

Mobilisieren Sie Ihren Körper!

Diesen Schlüsselsatz aus der Mototherapie mache ich zu meinem Rettungsanker, Notnagel, heilenden Gedanken und Strohhalm: Den Rücken strecken, Kopf hoch, das Kinn gerade, Schultern nach hinten, wach werden...

 

Ins Tun kommen...

... ist verdammt schwer. Aber ich muss aus der Depression raus, muss mein feststeckendes Ich-Mich wieder befreien, damit ich merke, dass ich da bin, damit ich mich anders spüre als im Schmerz. Im körperlichen Schmerz beim Fingernägelkauen oder Putzen bis der Schweiß rinnt, beim Treppe rauf und runter rennen, beim Kopf-gegen-die-Wand-schlagen oder beim Wein trinken bis mir schwindelig ist. Oder beim Erbrechen bis es blutet, was plötzlich wieder so einfach geworden ist.

 

Ins Tun kommen...

... kostet mächtig Überwindung. Es scheint einfacher zu sein, im dunklen Loch zu bleiben. Jedoch, ich will da wieder raus!

Sonntag, 26. November 2017

Wirklichkeit ohne Bodenkontakt

Bähmm! Noch mehr Wirklichkeit.

 

Die Frage bleibt: Was ist meine Wirklichkeit?

Links. Noch schlimmer geht auch immer.
Im Augenblick bin ich unwirklich. Nicht da, nicht hier, nirgendwo. Ich habe keinen Appetit, kaum etwas gegessen, mein Bauch wölbt sich trotzdem meterweit vor in riesigen Rettungsringen während ich am Laptop sitze. Es ist Sonntag, der Sport-Tag. Keine Lust, keinen Nerv, null Energie, leer, endlos bodenlos verloren. Niemand will etwas von mir, ich bin frei. Doch außer Leere spüre ich nix, in der heißersehnt verhassten Ruhe um mich herum beißt mich die Panik vor dem Abendessen. Mein Ich-Mich gefangen frei, sinnlos kreisend um immer dieselben Gedanken an Schokolade und Bratwurst mit Majo. Morgen ist Montag, wieder ein Montag für die guten Vorsätze. Die abgekauten Fingernägel lassen sich nicht mehr ankleben. Nur meine Vorsätze kann ich mir zurecht biegen. Der Schmerz ist echt, tut gut. Ist das meine Wirklichkeit?

Freitag, 24. November 2017

Wirklichkeit ohne Bodenkontakt

Bähmm! Angekommen in der Wirklichkeit.

 

Aber: Was ist meine Wirklichkeit?

Schlimmer geht immer.
Diese Woche war die schwerste Woche.
Ich war eine wirklich gute Mutter, als Ehefrau so naja. Der Haushalt läuft, Weihnachten wird vorbereitet, der Alltag organisiert. Dinge werden erledigt. Klappt super.
Das ist meine Alltagswirklichkeit.
Aber heute musste ich genauer hinschauen.

Denn: Das Erbrechen hat mich wieder.

Dienstag, 21. November 2017

Im Dialog: Eindrücke von Station M3b7

Wir haben etwas zu sagen!

Auch während meines letzten Aufenthaltes in der Klinik habe ich auf Station M3b7 wieder wundervolle Frauen getroffen. 

Einige von ihnen aus dem Esskonzept kommen hier zu Wort. Ich danke Euch sehr, dass ich Euch diese Fragen stellen durfte: Karin, Isabell, Mitpatientin I, Valentina, Mitpatientin S.. Ich beantworte die Fragen in Form einer kurzen Selbstauskunft

Von jeder von Euch habe ich gelernt und Impulse mitgenommen - Ihr seid so klug! So verschieden wir sind, so sehr können wir einander manches Mal verstehen. Wir müssen uns voneinander abgrenzen, um uns unterstützen zu können. Wir dürfen Hilfe suchen und diese annehmen. Und noch vieles andere mehr - all' das habt Ihr mir gezeigt.

Mein Dank gilt ebenso den vielen anderen wunderbaren Menschen auf Station. Die Gespräche mit Euch haben mich gestärkt und wirken noch nach. Ihr alle: Macht es gut, bleibt mutig auf dem Weg, obgleich dieser voller Löcher und Fallstricke sein kann. Alles, alles Gute!

Im Dialog: Mitpatientin I.

Wir haben etwas zu sagen!

Während meines letzten Aufenthaltes in der Klinik habe ich auf Station M3b7 wieder wundervolle Frauen getroffen. Einige von ihnen aus dem Esskonzept kommen hier zu Wort. Sie teilen an dieser Stelle ihre Erfahrungen und Gedanken. Herzlichen Dank an Euch alle!

Im Dialog mit Mitpatientin I. 


Mitpatientin I., 32 Jahre alt, jetzt in der 7. Woche auf Station, Magersucht, Hörschädigung

Im Dialog: Mitpatientin S.

Wir haben etwas zu sagen!

Während meines letzten Aufenthaltes in der Klinik habe ich auf Station M3b7 wieder wundervolle Frauen getroffen. Einige von ihnen aus dem Esskonzept kommen hier zu Wort. Sie teilen an dieser Stelle ihre Erfahrungen und Gedanken. Herzlichen Dank an Euch alle!

Im Dialog mit Mitpatientin S.


Mitpatientin S., 35 Jahre alt, jetzt 10 Wochen auf Station, Magersucht

Im Dialog: Valentina

Wir haben etwas zu sagen!

Während meines letzten Aufenthaltes in der Klinik habe ich auf Station M3b7 wieder wundervolle Frauen getroffen. Einige von ihnen aus dem Esskonzept kommen hier zu Wort. Sie teilen an dieser Stelle ihre Erfahrungen und Gedanken. Herzlichen Dank an Euch alle!

Im Dialog mit Valentina.


Valentina, 23 Jahre alt, für 6 Wochen auf Station, Binge-Eating, geplante Magen-Operation

Im Dialog: Karin

Wir haben etwas zu sagen!

Während meines letzten Aufenthaltes in der Klinik habe ich auf Station M3b7 wieder wundervolle Frauen getroffen. Einige von ihnen aus dem Esskonzept kommen hier zu Wort. Sie teilen an dieser Stelle ihre Erfahrungen und Gedanken. Herzlichen Dank an Euch alle!

Im Dialog mit Karin.


Karin, 51 Jahre alt, 2. Mal für Intervall auf Station (5 Wochen), Binge-Eating

Im Dialog: Isabell

Wir haben etwas zu sagen!

Während meines letzten Aufenthaltes in der Klinik habe ich auf Station M3b7 wieder wundervolle Frauen getroffen. Einige von ihnen aus dem Esskonzept kommen hier zu Wort. Sie teilen an dieser Stelle ihre Erfahrungen und Gedanken. Herzlichen Dank an Euch alle!

Im Dialog mit Isabell.


Isabell, 20 Jahre alt, jetzt 12 Wochen auf Station, Magersucht, Depression

Im Dialog: Selbstauskunft Kathrin

Wir haben etwas zu sagen!

Während meines letzten Aufenthaltes in der Klinik habe ich auf Station M3b7 wieder wundervolle Frauen getroffen. Einige von ihnen aus dem Esskonzept kommen hier zu Wort. Ich versuche, die Fragen in Form einer Selbstauskunft zu beantworten. Und merke, das ist gar nicht so einfach...

Selbstauskunft.


Kathrin, 43 Jahre alt, zum 3. Mal auf Station (jetzt für 4 Wochen), Bulimie, Binge-Eating, Depression, Angststörung

Sonntag, 19. November 2017

Wieder angekommen im Binge-Eating

Scheiße, Scheiße, Scheiße!

Ein kurzes Statement, warum es im Blog nicht weiter geht...

Von Anorexie und Bulimie zum Binge-Eating.

Wieder im Tritt zuhause, wieder im Alltag, der noch keiner ist. Ich erbreche nicht und soll mich daran freuen. Ich esse und soll mich daran auch noch freuen. Aber ich esse viel zu viel - dabei spüre ich überhaupt keine Freude, ich hasse mich dafür! Ständig Gummibärchen, Schokolade, Nüsse, Kekse und Kuchen, alles da - klar, wir sind ein Familienhaushalt. Aber bis die Tüten leer sind?? Willkommen im Binge-Eating. So eine Scheiße!

Montag, 13. November 2017

In eigener Sache

Anwesenheitsnotiz

 

Zurück im echten Leben.

Auszug-Umzug-Einzug
Seit einigen Tagen bin ich wieder zuhause, tappe in alle Fallen, kenne die Abwehrstrategien und bin doch allzu kraftlos, die passende zu nutzen... Ich gestehe, ich bin über Schokolade und Gummibärchen, aber auch über Obst und Gemüse, hergefallen, dazu gab es einige Gläser Wein und Sekt. Meine Fingernägel sind abgekaut. Fassungslosigkeit macht sich in mir breit. Aber auch das Wissen, dass mit jedem Klinik-Auszug und Zuhause-Einzug zunächst der vergleichsweise tiefe Fall kommt. Zurück im echten Leben halt!

Montag, 9. Oktober 2017

In eigener Sache

Abwesenheitsnotiz

Gesehen in Frankfurt a.M.

In den nächsten Wochen mache ich Blog-Pause.

Die kommenden Wochen verbringe ich im Klinikum Bad Cannstatt. Dort darf ich mein zweites Intervall absolvieren. Der letzte Aufenthalt liegt nun fast 1 Jahr zurück. In den Monaten seither habe ich weiter an mir gearbeitet und einiges bewegt und verändert. Wie die vergangenen Wochen und Tage zeigen, bin ich trotzdem nicht gesund und warum ich diesen Blog "fressbefreit" genannt habe, leuchtet mir selbst nicht mehr ein. Befreit bin ich noch nicht - ich nehme diesen Titel heute darum einfach als gutes Omen.
Ich bin gespannt, welche Türen für mich noch aufgehen, ob ich stets einen Notausgang finde, wenn's zu schwer wird. Anschließend berichte ich an dieser Stelle. Ich bin aufgeregt!

Die Tentakel der Bulimie

Die große Angst


Mit der Anorexie kommt die Bulimie. Die Toiletten jagen mich. Beschreibung einer Attacke mit unerwartetem Ausgang.
 

 

Auf meinem Küchentisch steht eine Tortenplatte.

Seit Samstag esse ich wieder, das Wochenende mit der Familie hat den Knoten durchschlagen und die gemeinsamen Mahlzeiten führten zu einer regelmäßigen Nahrungsaufnahme, d.h. ich habe kleine Portionen gegessen und mich dabei an meinem jüngsten Sohn orientiert. Allerdings habe ich die Kohlenhydrate fast weg gelassen, Gemüse und Getränke in Mengen zu mir genommen. Ganz nach alten Mustern und Gesetzen. Erstmal gut, glaube ich. Doch am Sonntag bekamen wir ein Geschenk.

Auf meinem Küchentisch steht eine Tortenplatte mit einem vollständigen Käsekuchen.

Ich liebe Käsekuchen, schon immer: Der Geschmack ist wunderbar zartcremig. Und: Die Konsistenz eignet sich hervorragend zum Verschlingen, mit der entsprechenden Flüssigkeitsmenge gemischt auch bestens zum Erbrechen. Ein ganzer Käsekuchen geht locker rein und wieder raus. Dann noch eine Tafel Lieblingsschokolade, damit sich die Anstrengung hinterher auch richtig lohnt. Ich tigere durch die Küche, immer wieder um den Tisch herum. Ich decke den Kuchen auf und wieder zu. Wie von außen sehe ich mir dabei zu und lache mich kaputt.

Auf meinem Küchentisch steht eine Tortenplatte mit einem halben Käsekuchen.

Der Zucker, die Creme, der Keksboden haben unentwegt nach mir gerufen, mich gelockt und an mir gezerrt. Die Option Toilette besteht nach wie vor, mit geöffnetem Maul jagen mich die Klos mit ihren hochgeklappten Toiletten-Deckeln. So einfach und schnell könnte es gehen... Ich trinke eine Flasche Sprudel und zwei Gläser Rotwein, ich schaue einen Film und kann mich an die Handlung nicht erinnern. Aber ich weiß, dass ich ständig in der Küche war. Jetzt gibt es nur noch einen halben Käsekuchen, ein Viertel verwertet der Stoffwechsel meines Mannes, das andere Viertel macht mich fett. 

Ich will nicht erbrechen. Ich werde nicht erbrechen.

Heute steht der halbe Käsekuchen immer noch da. Ich bin alleine zuhause. Scheißescheißescheiße: Gefahr, Angst, Panik, die Tentakel der Bulimie haben nach mir gegriffen und mich gepackt. Aber ich konnte sie gestern abschütteln. Ich habe nicht erbrochen. Ich habe zwar zu viel Kuchen gegessen, aber ich konnte aufhören. Das war keine Glanzleistung und einfach schon gar nicht, der ganze Abend stand unter dem Einfluss des Käsekuchens, für anderes blieb gar kein Raum. Trotzdem habe ich es wirklich geschafft - und ich werde auch die nächste Attacke wieder abwehren. Fast schaue ich mit neuem Mut nach vorne und staune über mich selbst.

Freitag, 6. Oktober 2017

Innensicht

So viele Fragezeichen


Ein Versuch, Mut zu machen, in einem Moment, der das so gar nicht zulassen will.

 

Aus der Übung?

Ich wünschte, ich könnte mein Inneres ansehen und verstehen. Nein, nicht das Wunder von Magen- und Darm-Zusammenspiel oder die Komplexität des Blutkreislaufs. Sondern ich meine, wie innerstes Herz und tiefster Verstand funktionieren, einander beeinflussen und wie ich sie steuern oder auch Unbegreifbares annehmen kann. Geht das überhaupt? Ich glaube, einen kleinen Eindruck davon, wie es gehen könnte, habe ich meinem Therapeuten zu verdanken. Er ließ mich mehrfach in meinen Körper reisen: Durch eine kleine Spiegelscherbe hindurch einen Eingang finden, dann einen Ort des Wohlfühlens in mir selbst entdecken. Aber ich schaffe es nicht allein.  

Was ist es, das mich nieder drückt? 

Der Krankenhausaufenthalt hat mich mehr mitgenommen als erwartet, sowohl körperlich als auch seelisch. Ich bin echt aus der Spur und habe im Augenblick keine Idee mehr, wie ich mein fragiles Gleichgewicht zurückerlangen soll. Statt dessen haben sich die Tentakel der Magersucht meiner bemächtigt, in vollendeter Perfektion hat mich das Essenwollen (oder -können?) verlassen. Ich sehe die Scherben meiner Innensicht und finde keinen Zugang zu mir, von einer Reparatur bin ich noch allzuweit entfernt. Und ergebe mich meiner Sucht. Das wiederum schockiert mich völlig, dachte ich doch, ich sei schon sehr viel weiter.

Kontrollverlust und Ausgeliefertsein?

Vermutlich sind das zwei meiner Schlüsselwörter: Kontrollverlust und Ausgeliefertsein. Im Krankenhaus musste ich mich der Kompetenz der Ärzte und Pflegekräfte ergeben, auch körperlich völlig entblößt für einen operativen Eingriff, der genauso ein Eingriff in mein Innerstes war. Als ich vor Angst von der Liege springen wollte, wurde ich festgehalten. Als ich ein Schlafmittel erbat, bekam ich eine Tablette zur Beruhigung. Mit Sicherheit alles zu meinem Besten und niemals als Angriff gemeint. Und doch so ausliefernd. Vielleicht reagiere ich mit der einzigen, für mich stets funktionierenden Methode: Mit meiner Sucht. Hier muss ich in der Therapie sicher noch einmal besonders draufschauen.

Warum notiere ich das?

Indem ich diesen Text aufschreibe, kläre ich für mich, wo ich stehe. Indem ich diesen Text freischalte, stelle ich mich bloß. Indem ich zulasse, dass ein Außen diesen Text liest, erlaube ich ein Miterleben, Mitfühlen, vielleicht Kopfschütteln und Unverständnis. Letzteres ist mir wenngleich nicht egal, so doch unwichtig. Ich bin sicher, dass ich einen Weg hinaus finde aus diesem Loch. Daran will ich weiterhin glauben. Und indem ich diesen Text aufschreibe, erkläre ich mir selbst, dass es ihn gibt für mich, diesen Weg. Diese eine besondere Scherbe. Diese Innensicht.

Mittwoch, 4. Oktober 2017

Die Tentakel der Magersucht

Körperlos Tränen essen


Die Tentakel der Magersucht greifen nach mir.

Edvard Munch: Der Schrei
Warum brauchen wir noch mehr? Warum sind Tränen nicht ausreichend? Ich habe aufgehört zu essen. Bin ich zu müde? Ist mir übel? Sind die elenden Kopfschmerzen der Grund? Etwas ist anders. Die Tentakel sind wieder da, die Tentakel der Magersucht greifen nach mir. Ich will sie abstreifen, aber ich schaffe es nicht. Will ich es wirklich? Janeinjanein. Dabei sehe ich doch genau was passiert. Mein Bauch ist flach, mein Kopf schmerzt. Seit Tagen habe ich fast nichts gegessen. Ich bin umschlungen und es ist kein schönes Gefühl. Trotzdem fühle ich mich leicht und stark, eine zutiefst herbeigesehnte Empfindung. Ich will schreien und bleibe doch still. Wer soll mich hören, wenn ich nicht Laut gebe bei denen, die mich lieben?

Am liebsten wäre ich körperlos. Meinen Körper los.

Ich verstehe ihn ja sowieso nicht: Kommen die Schmerzen im Unterleib von der Operation oder ist es der normale monatliche Verlauf? Bin ich wirklich müde oder stelle ich mich nur an? Habe ich schon abgenommen oder nicht? Die Hose schlackert zwar, aber im Spiegel bin ich rund wie stets. Habe ich nun Hunger oder was ist das? Der Appetit fehlt mir jedenfalls völlig, glaube ich zumindest. Wieviel einfacher wäre es doch, wenn mein Körper und ich nicht zusammengehörten.

Warum sind Tränen nicht ausreichend?

Ich stehe in der Küche und weine. Ich schaue in den Kühlschrank, zum Obst, zur Schokolade. Meine Söhne brauchen ein gutes Mittagessen. Aber ich bin wie gelähmt und weiß einfach nicht, wie es geht. Mir reichen meine Tränen, die nicht aufhören wollen zu laufen. Viel zu anstrengend, meine Gedanken zu sortieren, meine Arme und Hände zu steuern, Gemüse zu schneiden, Essensgerüche um mich zu haben. Was soll ich bloß tun. Ich hasse sie, die Tentakel, und heiße sie doch willkommen. Ich halte es kaum aus.
Die Angst schlägt zu und drückt mich nieder. Ich weiß nicht weiter.

Donnerstag, 28. September 2017

In eigener Sache

Irre Gedanken

 

Fakt ist ...

... ich muss mich operieren lassen und gehe morgen ins Krankenhaus. Ich habe Angst vor der Narkose, vor dem Eingriff und vor dem Ergebnis. Ich würde jetzt gerne ein Glas Rotwein trinken oder auch mehr. Chips essen, Gummibärchen. Doch ich beschränke mich auf ein Schälchen Gummibärchen, weil ich merke, dass ich überhaupt keinen Appetit habe. Doch der Griff geht sofort zur Süßigkeitenschranktür. Die ganze Woche schon.

Fakt ist auch ...

zerteilt und von außen betrachtet
..., dass in meinem Kopf sofort der Gedanke aufflammt: "Wenn ich jetzt krank bin, wenn es mir schlecht geht, nehme ich bestimmt ab. Das ist die Gelegenheit!" Es ist, als würde ein Teil von mir gar nicht kapieren, dass ich operiert werde, weil ich ein organisches Problem habe. Bei einem Teil von mir kommt nur an: Von außen gesteuert werde ich nicht mehr essen können und e n d l i c h abnehmen. Und dann bin ich wieder dünn und bleibe es auch. Was für irre Gedanken.

Montag, 25. September 2017

Eine bittere Anekdote

"Shopping is cheaper than a psychiatrist"

 

Immer auf der Suche

Zwischen zwei Arztbesuchen ein kurzer Gang über die Einkaufsstraße. Vielleicht finde ich ja eine Jeans, in der ich mich einfach mal jeden Tag wohlfühle. Eine neue Not-Hose sozusagen, die mir ohne Nachdenken ein angenehmes Outfit verschafft. Ich brauche jetzt die nächste Größe, die Hosen aus vergangenen Zeiten kneifen. Blödes Gefühl, doch so ist es. Uneingeschränkte Ehrlichkeit halt.

Heute also auf der Shopping-Meile

Ich erlebe frustrierende Versuche in Stuttgarts Umkleidekabinen. Und dann stehe ich vor diesem Schild: "Shopping is cheaper than a psychiatrist". Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Das ist so ein billiger Spruch! Heute bin ich wahnsinnig sensibel und nicht lustig und der Text erwischt mich auf dem falschen Fuß. Ein weinender Zusammenbruch soll mich auch später noch ereilen. 
  

Doch zurück zur Leuchtschrift

Ich google den Spruch und erhalte erstaunlich viele Treffer. Damit wird ja kokettiert! Ich ärgere mich. Hier wird zusammengebracht, was nicht zusammen gehört. Außer bei mir: Ich kaufe viel zu viel Zeug, gebe viel zu viel Geld aus, besitze 25 Jeans und keine taugt als die oben beschriebene Not-Hose. Da ich mich in keinem Kleidungsstück, ohne Kleider jedoch auch nicht, wohlfühle, versuche ich es immer wieder. Gebe mich der Hoffnung hin, diese eine Hose, diesen einen Rock, doch noch zu entdecken - und kaufe dabei zusätzlich unverfängliche Schuhe, Schals und Handtaschen. Noch ein ehrliches Eingeständnis. Ich schäme mich. Und ich brauche auf jeden Fall meinen Therapeuten. Nur mit Shopping komme ich jedenfalls überhaupt nicht weiter. Das hat der Tag heute deutlich gezeigt. Punkt.

Sonntag, 24. September 2017

Selbstverletzendes Verhalten

Gnadenlos ehrlich: So sieht's aus.

 

Nur eine Gewohnheit?

Ich erinnere mich, dass ich schon als Mädchen meine Fingernägel abgekaut habe. Meine Mutter schöpfte so ziemlich jede moderne Ablenkungsmethode aus, sogar übel schmeckenden Nagellack. In der Pubertät arbeitete ich mich eigenmotiviert daran ab, mit dieser Angewohnheit aufzuhören. Die Finger im Mund und hinterher blutende Nagelhaut fand ich selber hässlich. Die Außenwirkung wurde mir wichtig. Irgendwie habe ich es sogar geschafft, die Gewohnheit abzulegen, allerdings kam dann fast übergangslos die Bulimie.
Gekauft habe ich bestimmt 100 verschiedene sogenannte Produkte zur Hand- und Nagelpflege. Meine Finger begann ich zu schützen, manchmal sogar zu pflegen. Die Nagelhaut zupfe ich allerdings immer noch; mal mehr, mal weniger.

Warum ich niemals offene Schuhe anziehen kann.

Es gibt Zeiten, in denen ich sogar Ringe tragen kann. Aber niemals offene Schuhe, schöne Sandalen oder Flipflops. Denn: Meine Finger habe ich im Griff, aber meine Zehen sind völlig ramponiert. Ich habe so ausdauernd jeden einzelnen Zehennagel bearbeitet, d.h. abgezupft, eingerissen, abgeknibbelt, abgebissen, dass die Nägel nicht mehr nachwachsen und die Nagelhaut zerstört ist. Dies geschieht immer automatisch; ganz besonders im Sommer, wenn die Socken fehlen. Aber auch sonst. Fürchterlich peinlich. 

Wird die Not zu groß,...

... fühle ich mich wie ein Vulkan. Dann stehe ich kurz vor der Explosion, voller Energie weiß ich doch nichts mit mir anzufangen. Voller Bewegungsdrang, will ich nur aufs Sofa. Voller Sehnsucht nach Ansprache und Hilfe, ziehe ich mich zurück. Umgeben von Leben, will ich doch nur meine Ruhe haben. Voller Entsetzen sehe ich mir von außen zu, wie ich die Schokolade öffne. Oder den Wein. Ich schaue mir in den Kopf und lese meine Gedanken oder Sehnsüchte, ohne sie zu verstehen oder unterbrechen zu können. Reingrätschen klappt nicht immer. Dann will ich nur noch erbrechen, Schmerzen im Hals spüren, Blut schmecken. Aber ich erbreche ja nicht mehr. Was bleibt mir also? Mein Vulkan ist ja nach wie vor aktiv, mein Ich-Mich ist immer noch hin und wieder Matsche. Seit ich nicht mehr erbreche, nimmt das Knibbeln und Zupfen, das Abreißen und Kauen wieder massiv zu. 

Gnadenlos ehrlich zu sein,...

... habe ich mir ganz fest vorgenommen. Ich will mich selbst nicht mehr bescheißen. Ich will mir selbst vertrauen lernen. Also blicke ich auf meine Hände und Füße und stelle fest, dass ich mich weiterhin selbst verletze. Doch ich wage zu glauben und zu hoffen, dass diese abgeschwächte Form erstmal ok ist. Nicht schön, aber auf jeden Fall besser als das Erbrechen. Irgendetwas brodelt noch in mir, das ich noch aufdecken und womit ich umzugehen lernen muss. Damit ich vielleicht in diesem Leben doch nochmal Sandalen tragen kann.

Samstag, 23. September 2017

Kleine Weisheit

Ich glaub', ich mag Berührungen.

 

So beschreibt mein jüngster Sohn (s)ein Grundbedürfnis.

Schon als er klein war, ein Baby noch, schnurrte er beim Rücken- oder Bäuchleinstreicheln wie eine kleine Katze: ganz genüsslich, er bog sich meiner streichelnden Hand nahezu entgegen. Hatte er genug, drehte er sich fort. Meist wurde meine Hand jedoch zuerst müde. Auch jetzt, inzwischen ist er neun Jahre alt, mag er es noch sehr, wenn wir Zeit finden zum Kuscheln; er fordert diese Momente ein, wenn er sie braucht. Und beendet sie, wenn es reicht. Betrachte ich diese Situationen so für mich, bewundere ich ihn dafür: Er weiß, was er will und wie lange es gut für ihn ist.

Wieder lerne ich von meinem Kind: Nähe!

Er spürt, was er will. Er drückt aus, was er will. Auf eine nette, liebevolle Weise. Natürlich kann er auch verletztend sein. Aber nicht in diesen Situationen. Für mich als (psychisch kranke) Mutter sind die Kuschelzeiten auch Momente des Auftankens. Von niemandem sonst kann ich selbst diese intensive Nähe ertragen. Ich glaube, das liegt daran, dass mein Sohn völlig klar seine Bedürfnisse und auch seine Grenzen ausdrückt. Er will niemals mehr und ich verstehe meist gut, was er möchte. Er sagt über sich selbst: "Ich glaub', ich mag Berührungen." Und die sind für ihn wie Schokoladenkuchen.

Mein Körper ist nicht gut genug zum Anfassen.

Stets komme ich darauf zurück: Ich lasse Berührungen zwar zu, aber ich mag sie nicht. Damit meine ich nicht das Kuscheln mit meinen Kindern. Sondern Berührungen durch meine eigenen Hände oder die meines Liebes- und Lebenspartners. Das Gefühl meiner Hände auf meinem Bauch: eklig. Berührungen an anderer Stelle: eher mit zusammen gebissenen Zähnen zu ertragen. Wie eklig muss sich das für den Partner anfühlen? Mich selbst anschauen im Spiegel: zum Kotzen. Nur das Gesicht und die Schienbeine kann ich ertragen. Mein Mann findet mich sexy, mit mehr Gewicht eher mehr als weniger. Annehmen kann ich das nicht.


Meine Kinder stellen sich diese Fragen gar nicht.

Sie handeln instinktiv. Insbesondere mein jüngster Sohn will einfach nur berührt werden, am liebsten mit der ganzen Hand an Bauch und Rücken. Er mag die Wärme auf seiner nackten Haut, die Gänsehaut, die Bewegung, die Massage. Oft kommen wir dabei sogar ins Erzählen. Meine Kinder stellen sich die Frage nicht, ob sich ihr Bauch für mich gut anfühlt, für sie ist es gut. Sie fragen sich auch nicht, ob ihr Rücken beim Massieren Falten bildet. Das ist einfach so, gehört zu ihrem Körper dazu. Also alles in Ordnung und genau richtig. Wie schön.

Sonntag, 17. September 2017

Impressionen aus Frankfurt: Erfahrungsbericht

Starker Auftritt auf der IAA

 

Wenn 100.000 Menschen zusammenkommen, bin ich normalerweise nicht dabei.

Menschen zählen
Mit meiner Familie war ich für ein langes Wochenende in Frankfurt am Main auf der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA). Schon vor zwei Jahren bestaunten wir dort Neues und ganz Altes und probierten Vieles aus; ich war 2015 aber nur dabei, weil ich Angst hatte, alleine zuhause zu bleiben. Im Rückblick muss ich feststellen, dass ich mich damals dort ganz anders bewegt habe als jetzt: Vorsichtig, stets in der Nähe zum Ausgang, am Rand der Menschenmenge, immer in Sorge vor einer Panik-Attacke, in Gedanken beim nächsten vernünftigen Essen. Das hemmt natürlich ganz gewaltig!

Dieses Mal ist alles ganz anders.

Schön retro
Die Freude meiner Kinder und meines Mannes war so ansteckend! Und ich ließ mich anstecken. Ich konnte nach oben und nach unten schauen, ohne schwindelig zu werden. Ich konnte mich schieben oder ziehen lassen und ein Stehenbleiben durchsetzen, wenn ich das wollte. Kein Gedanke an all' das, was zuhause liegen bleibt. Sondern die Schönheit des Moments war wichtig. Das Gemeinsame mit meiner Familie. Manchmal überkam mich der Schreck vor meinem eigenen Mut, ich zuckte kurz und lauerte auf die Panik. Aber die blieb aus. Bloß meine Füße waren irgendwann platt. Mir ging es echt gut!

Aber was ist schon normal bei mir?

Weisheit in Frankfurt
Vielleicht doch mehr, als ich mir selbst zugestehe. Wenn ich auf mein Wochenende schaue, habe ich vermutlich total normal gegessen, zumindest ganz ähnlich wie meine Söhne. Ich habe meine Standards bzgl. der Mengen unkompliziert eingehalten, durchaus etwas genascht und auch ein Glas Wein getrunken. Ich habe unbeschwert auf den Hunger gewartet und meinem Appetit nachgegeben. Ich war sogar im Äppelwoikeller zum deftigen Abendessen. Aber: Ganz ohne schlechtes Gewissen, weil ich einfach aufhören konnte. Es geht also!

Dienstag, 12. September 2017

Größte Verunsicherung

Als ich anfing, essen zu lernen...

 

... stand ich vor der (zweit-)größten Herausforderung überhaupt.

Kurz vorweg: Ich kann es immer noch nicht zuverlässig, das mit dem Essen. Die größte Herausforderung war, das Erbrechen zunächst einzuschränken und dann damit aufzuhören. Dieser Prozess dauerte eineinhalb Jahre und ist sicher nicht abgeschlossen. Eine kleine Angst lauert tief in mir, dass ich wieder abstürzen könnte in die Spirale aus Essen und Erbrechen. Das Erbrechen ging, aber das Essen ist geblieben, muss es ja irgendwie. Das Essensthema, die Essens-Angst, ist auch geblieben, hat sich nicht von selbst erledigt. Das war zunächst meine stille, auch dumme, heimliche Hoffnung.

Die größte Herausforderung ist es, essen zu lernen.

Die normalste Sache der Welt, muss ich lernen. Das ist so bitter, nichts funktioniert bei mir einfach so, einfach von selbst, einfach automatisch. Ich schaue meinen Kindern ab, wie es geht: So viel essen, wie gut ist. Welche Portionen passen. Das essen, was ich mag, worauf ich Lust habe. Übrig lassen, was nicht mehr reinpasst. Aber auch dran riechen, schmecken, fühlen, langsam essen, manchmal sogar mit dem Essen spielen, sich am Essen freuen, dankbar sein. Und ich schaue ihnen zu, wie sie glücklich gesättigt, fast staunend, mit der Hand über ihre Bauchkugel streichen und sich damit wohlfühlen. Auch lerne ich von ihnen, dass sie überhaupt keinen Gedanken ans Essen verschwenden, wenn sie satt sind. Das ist ihnen dann nämlich völlig unwichtig. 

Essen-Lernen bedeutet Analysieren.

Die normalste Sache der Welt ist nämlich total schwer, wenn sie nicht intuitiv funktioniert. Schließlich muss ich ganz viel über mich selbst wissen, um zu essen: Ich muss Appetit (worauf?) und Hunger (körperlichen oder seelischen?) erkennen und unterscheiden. Ich muss entsprechende Zutaten einkaufen und diese zubereiten. Ich muss eine Portionsgröße definieren (wieviel in welcher Zusammensetzung?). Ich muss wissen, wann ich satt bin. Wenn ich Sport treibe, muss ich auch noch bedenken, welche Nährstoffe ich vielleicht zusätzlich benötige. Essen-Lernen umfasst auch das Aufhören-Lernen. Trotzdem hat es überhaupt und gar nichts mit Diäten im herkömlichen Sinn zu tun.

Essen-Lernen bedeutet Reingrätschen.

Essen hat in meinem Fall noch lange nichts mit Lust oder Genuss zu tun. Sondern ersteinmal ausschließlich mit Struktur, mit Vorbereitung, mit ganz viel Konsequenz und Disziplin. Die manchmal über Bord geht: 30 lange Jahre habe ich mir Appetit, Hunger, Sattsein abtrainiert. Meine Portionen waren riesenriesengroß, unvorstellbarriesigriesig. Ich muss vor jeder Mahlzeit kurz  überlegen. Komme ich in Not, in welcher Form auch immer, gilt der erste Gedanke der Schokolade oder dem Kuchen. Hier muss ich reingrätschen, innehalten, nachdenken, analysieren. Tue ich das nicht, greift die Fressattacke nach mir. Immer noch.

Essen-Lernen ist Verunsicherung.

Wie geht das alles? Das rein funktionale Essen-Lernen, aber auch das Analysieren und das Reingrätschen. Meine persönliche Antwort: Verunsicherung akzeptieren. Mit ganz viel Geduld, jeden Tag aufs Neue, mit ganz viel Willen und dem Verarbeiten von Fehlschlägen. Mit etwas Stolz vielleicht. Und mit viel Hilfe von außen. Über meine tolle Ernährungstherapeutin schreibe ich an anderer Stelle.

Ach so, das Bild da oben hat mir eine Oberärztin in der Klinik aufgezeichnet. Ein normales Essverhalten ist nicht ausschließlich gut und gesund oder exakt zwischen wenig und viel positioniert: Es ist immer eine Mischung, am liebsten eine ausgewogene...

Samstag, 9. September 2017

Der Weg in den Abgrund

Diät, Guter Vorsatz, Besteck, ApfelFressen und Kotzen oder Nixessen - perfekt zum Abnehmen? 

 

Auf den Punkt gebracht: Das ist toaler Quatsch!

  1. Vom Erbrechen habe ich noch nie abgenommen. Die Quälerei ist schier unendlich, doch es bleiben genug Kalorien im Körper und werden immer, immer wieder neu zugeführt, so dass eine Gewichtsabnahme fast unmöglich ist. Zugenommen haben meine Depressionen, meine Scham, das Lügen und Verstecken. Beständig.
  2. Vom Nixessen habe ich durchaus abgenommen an Körpermasse, aber stets auch an Energie, an Konzentration, an Nerven. Ich habe mein Lachen verloren. Gewonnen habe ich Schmerzen am gesamten Körper, Schwindel, Übelkeit, Nevosität, Panikattacken, körperliche Zusammenbrüche beim Sport. Und natürlich habe ich auch in diesen Zeiten meine Ausreden verfeinert.
  3. Der Körper geht völlig kaputt. Zwar war ich jung, als ich anfing, und mein Organismus konnte mein Suchtverhalten einigermaßen wegstecken. Doch inzwischen bin ich deutlich älter und spüre die Nachwirkungen: Speiseröhre, Magen, Herz, Stoffwechsel sind angegriffen. Meine Zähne sind erstaunlich gesund, kaum zu glauben. Trotzdem: Das Wertvollste, was ich habe, ist meine Gesundheit. Die hat mächtig gelitten.
  4. Ich konnte nie aufhören! Jeden Tag sagte ich mir: Morgen höre ich auf. Vorher nochmal alles essen, was ich so sehr mag und nicht darf. Noch einmal elend erbrechen. Aber morgen, morgen höre ich auf mit dem Fressen und Kotzen. Morgen esse ich, so richtig, total gesund, total normal. Das wiederum habe ich nie geschafft. Das geht nämlich nicht.

Auf den Punkt gebracht: Es geht überhaupt nicht ums Abnehmen!


Das ist nur vorgeschoben, Jede und Jeder will abnehmen. Das ist modern, gesellschaftlich anerkannt, sogar gewollt. Aber bei Essgestörten vorgeschoben. Denn eigentlich geht es um das Ich-Mich: Ich bin nicht richtig, ich störe, ich bin zu viel, ich muss weniger werden, ich muss mich reduzieren, mich korrigieren. Erst dann habe ich (vielleicht) das Recht, überhaupt da zu sein. Ich verletze mich selbst, strafe mich für mein Dasein. Aber nur durch die Schmerzen spüre ich überhaupt, dass ich da bin.

So habe ich die Spirale erlebt, den langen Weg in den Abgrund. Die Spirale dreht immer schneller und zerstörerischer, mehr Schmerzen, mehr Erbrechen, weitere, schlimmere Verletzungen. Kein Ich-Mich mehr, überhaupt keins. Nur noch Matsche in Körper und Seele. 

Während ich das hier aufschreibe, denke ich: Was für ein Scheiß! Aber so ist es, so habe ich es erlebt und erlebe es manchmal immer noch. Das ist Sucht, nur Sucht, keine Diät.

Was für ein Scheiß. Meine Meinung. Punkt.

Entspannungstraining

Nichts passt mehr so richtig - ich brauche eine Pause.

Aber ich kann gar keine Pause mehr machen. Wie geht das? Ich kann es nicht greifen...


Ein Artikel in der Stuttgarter Zeitung macht mich neugierig:

"Stressbewältigung: Gleichgewicht schaffen. Von Katja Gartz, Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen und Erschöpfung. Regelmäßige Pausen, Entspannungsübungen und Absprachen mit dem Chef helfen" 


Ich erkenne mich wieder und mache spontan einen Termin bei der im Bericht zitierten psychotherapeutischen Heilpraktikerin Gabriele Kleefeld aus Stuttgart aus.

Ihre offene und herzliche Art spricht mich an, auf die 1. Sitzung folgen viele weitere. Diese muss ich zwar selbst zahlen, doch ich fühle mich gut danach und das ist es mir wert. 

Bei Gabriele Kleefeld lerne ich u.a. die 'Zwei-Minuten-Entspannung', die mich durch eine Art Körperscan sofort bremst und in die Pause zwingt. Außerdem darf ich bei ihr malen und zeichnen und dabei aus einer Fülle von Materialien wählen. Ihr Praxis-Atelier wirkt inspirierend. Gabriele Kleefeld lässt mich in der Phantasie reisen und sorgt wirklich für Entspannung. Ich bekomme erstmals wieder einen kleinen, kurzen Zugang zu mir selbst und zu meinem Körper. So erfahre ich Neues und merke, dass ich daran weiter arbeiten möchte. Zu dem Zeitpunkt glaube ich noch, die bloße Erschöpfung zwinge mich in die Knie. Meine Essstörung hatte ich ja stets im Griff. Dachte ich damals.

Als Gabriele Kleefeld umzugsbedingt ihre Praxis in Stuttgart schließt, verabschiede ich mich. Der Weg nach Tübingen ist für mich zu kompliziert. Jedoch behalte ich diese Sitzungen in guter Erinnerung, im Rückblick wirken sie sogar wegweisend. Danke!

Zeit für eine Pause

Umbrüche. Abschiede. Ich ziehe mich zurück, der Blog macht Pause. Gründe dafür gibt es viele, der Wichtigste: Mit dem Essen komme ich zurech...