Mittwoch, 11. Juli 2018

Back to Reality

Grauen. Haft.

Neulich bei der Schneiderin.


Warum mich ein kleiner Dialog aus der Fassung bringt und nachhaltig niederdrückt.

Die Situation. 

Am Samstag brachte ich drei Hosen zur Änderungsschneiderei. Mein jüngster Sohn begleitete mich. Nachdem alle Hosen mit den jeweils richtigen Schuhen anprobiert und zum Kürzen markiert waren, füllte die Schneiderin den Abholschein aus - und musterte mich erneut eingehend. Ein Dialog ergab sich:

Sie: "Haben Sie zugenommen?"
Ich: "Ja."
Sie: "Wieviel haben Sie zugenommen? Was ist passiert?"
Ich: "Ähm."
Sie: "Sie waren doch schon öfter bei mir. Aber, nein, sowas..."

Wir nehmen unsere Fahrradhelme und gehen, also, ich flüchte. Kaum vor der Tür, stellt mir mein Sohn folgende Frage:
Malte: "Warum fragt die dich, ob du zugnommen hast?"
Ich: "Naja, ein wenig stimmt das ja."
Malte: "Du machst drei mal in der Woche Sport. Hör' auf zu labern. Das sind Muskeln."

Mit seiner Wortwahl bin ich nicht ganz einverstanden, doch in der Sache ist Malte in diesem Moment das Beste, was mir passieren kann. Er ist sich der Hintergründe nicht bewusst; er sieht mich nur so, wie ich bin, und versteht das alles eigentlich nicht, weil er gar kein Problem mit meinem Aussehen hat. Aber, er spürt meine Betroffenheit und erkennt, dass für mich eine Grenze überschritten wurde. So eine triviale, unwichtige Situation wiegt für mich schwer. Malte hilft mir mit seiner offenen Ernsthaftigkeit durch den Moment.

Meine Reaktion. 

Ich fühle mich eh' beschissen mit meiner Figur. Für mich stellt sich die folgende Frage: Wie gehe ich jetzt damit um, dass mir von Außen so geradeheraus bestätigt wird, was ich weiß und was mein größter Horror ist? Ich habe zugenommen. Und zwar so viel, dass es auffällt. Nicht nur mir, sondern fremden Personen, quasi der ganzen Welt. Zunehmen ist scheiße, bedeutet Versagen. So denke ich und das Außen auch. Ich fühle mich ertappt, darum trifft mich diese unbedachte Aussage wie ein Hammer mitten ins Herz. Schließlich weiß ich genau, wo die Kilos herkommen: Zu viel Alkohol, zu viel Kuchen und Schokolade, zu viel Brot mit Butter und Käse. Ohne Kotzen bleibt alles im Körper und wandert als Fettrolle auf den Bauch. Total klar. Wenn es doch bloß einfacher wäre, dagegen anzugehen.

Sofort denke ich über Lösungsmöglichkeiten nach:
  1. Reaktion: Nahrungsaufnahme einstellen.
    Hm. Schaffe ich sowieso nicht.
  2. Reaktion: Kotzen.
    Blöde Idee. Schließlich habe ich mühsam mit dem Erbrechen aufgehört bzw. bin noch dabei. Aber es wäre so einfach, wieder anzufangen. Raus, raus, raus mit dem schlechten Essen. Allerdings: Dauerhaft wieder Fressen und Kotzen? Keine Option. Hallo, Logik, Verstand, wo seid ihr?
  3. Reaktion: Totale Verzweiflung.
    Wie schon am Mittwoch beim Sport, als der schwere Körper dem schnellen Kopf nicht hinterher kam und schnaufend fast zusammenbrach. Aber nur fast.

Und jetzt? 

Heute kann ich die Hosen abholen, doch ich war noch nicht dort. Ich traue mich nicht hinein. Ich spüre, dass die Tränen wieder näher unter der Oberfläche sitzen. Um mich herum gestählte Mama-Körper und ICH schaffe es nicht mal, irgendein Gewicht zu halten...

Schade, eigentlich wollte ich über die Aussage schreiben: "Puh, ich bin noch satt. Ich kann noch nicht wieder was essen." Eigentlich wollte ich stolz sein auf mich. Nach dieser Begegnung mit der Realität fällt mir das wieder schwer.

Dennoch: Es ist früher Abend, später gehe ich zum Sport und will versuchen, bei mir zu bleiben. Ich habe ausgewogen gegessen, hoffe auf ausreichend gesunde Energie für den langen Lauf durch den Wald. Ich will mich innerlich stark machen und dran bleiben. Am Sport und am Essenlernen. Ohne Kotzen.

Ergänzung: Donnerstag, 12.07.2018 
Über das Zunehmen habe ich schon einmal im gleichnamigen Post geschrieben. Ich erschrecke selbst, wieviel Raum dieses Thema einnimmt. Für mich ist es (leider) nach wie vor Quelle des Unglücks, ganz existentiell. 

Ergänzung: Donnerstag, 11.10.2018
Im Zwischenruf erzähle ich von einer ähnlich grenzüberschreitenden Situation, über die ich mir im Nachgang noch viele Gedanken gemacht habe.

Zeit für eine Pause

Umbrüche. Abschiede. Ich ziehe mich zurück, der Blog macht Pause. Gründe dafür gibt es viele, der Wichtigste: Mit dem Essen komme ich zurech...