Dienstag, 12. September 2017

Größte Verunsicherung

Als ich anfing, essen zu lernen...

 

... stand ich vor der (zweit-)größten Herausforderung überhaupt.

Kurz vorweg: Ich kann es immer noch nicht zuverlässig, das mit dem Essen. Die größte Herausforderung war, das Erbrechen zunächst einzuschränken und dann damit aufzuhören. Dieser Prozess dauerte eineinhalb Jahre und ist sicher nicht abgeschlossen. Eine kleine Angst lauert tief in mir, dass ich wieder abstürzen könnte in die Spirale aus Essen und Erbrechen. Das Erbrechen ging, aber das Essen ist geblieben, muss es ja irgendwie. Das Essensthema, die Essens-Angst, ist auch geblieben, hat sich nicht von selbst erledigt. Das war zunächst meine stille, auch dumme, heimliche Hoffnung.

Die größte Herausforderung ist es, essen zu lernen.

Die normalste Sache der Welt, muss ich lernen. Das ist so bitter, nichts funktioniert bei mir einfach so, einfach von selbst, einfach automatisch. Ich schaue meinen Kindern ab, wie es geht: So viel essen, wie gut ist. Welche Portionen passen. Das essen, was ich mag, worauf ich Lust habe. Übrig lassen, was nicht mehr reinpasst. Aber auch dran riechen, schmecken, fühlen, langsam essen, manchmal sogar mit dem Essen spielen, sich am Essen freuen, dankbar sein. Und ich schaue ihnen zu, wie sie glücklich gesättigt, fast staunend, mit der Hand über ihre Bauchkugel streichen und sich damit wohlfühlen. Auch lerne ich von ihnen, dass sie überhaupt keinen Gedanken ans Essen verschwenden, wenn sie satt sind. Das ist ihnen dann nämlich völlig unwichtig. 

Essen-Lernen bedeutet Analysieren.

Die normalste Sache der Welt ist nämlich total schwer, wenn sie nicht intuitiv funktioniert. Schließlich muss ich ganz viel über mich selbst wissen, um zu essen: Ich muss Appetit (worauf?) und Hunger (körperlichen oder seelischen?) erkennen und unterscheiden. Ich muss entsprechende Zutaten einkaufen und diese zubereiten. Ich muss eine Portionsgröße definieren (wieviel in welcher Zusammensetzung?). Ich muss wissen, wann ich satt bin. Wenn ich Sport treibe, muss ich auch noch bedenken, welche Nährstoffe ich vielleicht zusätzlich benötige. Essen-Lernen umfasst auch das Aufhören-Lernen. Trotzdem hat es überhaupt und gar nichts mit Diäten im herkömlichen Sinn zu tun.

Essen-Lernen bedeutet Reingrätschen.

Essen hat in meinem Fall noch lange nichts mit Lust oder Genuss zu tun. Sondern ersteinmal ausschließlich mit Struktur, mit Vorbereitung, mit ganz viel Konsequenz und Disziplin. Die manchmal über Bord geht: 30 lange Jahre habe ich mir Appetit, Hunger, Sattsein abtrainiert. Meine Portionen waren riesenriesengroß, unvorstellbarriesigriesig. Ich muss vor jeder Mahlzeit kurz  überlegen. Komme ich in Not, in welcher Form auch immer, gilt der erste Gedanke der Schokolade oder dem Kuchen. Hier muss ich reingrätschen, innehalten, nachdenken, analysieren. Tue ich das nicht, greift die Fressattacke nach mir. Immer noch.

Essen-Lernen ist Verunsicherung.

Wie geht das alles? Das rein funktionale Essen-Lernen, aber auch das Analysieren und das Reingrätschen. Meine persönliche Antwort: Verunsicherung akzeptieren. Mit ganz viel Geduld, jeden Tag aufs Neue, mit ganz viel Willen und dem Verarbeiten von Fehlschlägen. Mit etwas Stolz vielleicht. Und mit viel Hilfe von außen. Über meine tolle Ernährungstherapeutin schreibe ich an anderer Stelle.

Ach so, das Bild da oben hat mir eine Oberärztin in der Klinik aufgezeichnet. Ein normales Essverhalten ist nicht ausschließlich gut und gesund oder exakt zwischen wenig und viel positioniert: Es ist immer eine Mischung, am liebsten eine ausgewogene...

Zeit für eine Pause

Umbrüche. Abschiede. Ich ziehe mich zurück, der Blog macht Pause. Gründe dafür gibt es viele, der Wichtigste: Mit dem Essen komme ich zurech...