Mitgestalten und Abladen
Wie mich Zufälle und Fügungen den Evangelischen Frauen in Württemberg nahe bringen und worin es (zunächst) mündet.
Abschied.
Die letzten beiden Wochen waren in meinen Gedanken und Gefühlen völlig überdeckt vom Tod meiner Freundin Kirsten. Dieser Verlust erscheint so ungerecht und fürchterlich, dass mir die Worte fehlen. Wie kann mein Herz nur derart unvorbereitet sein, obwohl der Verstand im Vorfeld Zeit genug fürs Begreifen hatte? Alles in mir wehrt sich gegen das Verstehen!Entwicklung.
Letzten Sommer hatte ich ein Seminar besucht, dort Zeit zum inspirierenden Gespräch zwischen den Schulungsblöcken gefunden, Ideen gesponnen: Ich wollte mitmachen beim ökumenischen Frauenkreuzweg in Stuttgart. Ich war auf einen Zug aufgesprungen, der nun für mich viel zu schnell fuhr. Auf einmal werde ich gebeten zu liefern, muss mich nackig machen vor der Öffentlichkeit, bekomme Angst vor meinem eigenen (Über-)Mut.Auf dem Frauenkreuzweg, auf dem Weg.
Und jetzt ist es wieder soweit, es wird Ostern. Völlig verdrängt, passt das Fest plötzlich zu mir und zu meiner Stimmung. Denn zunächst ist heute Karfreitag. Ich begebe mich also auf meinen ersten Frauenkreuzweg. Jesus ist am Kreuz gestorben, auch für mich. Auch für mich? Gar nicht so sattelfest im Glauben, habe ich viele Fragen. Ich fühle mich getragen von den Frauen und Männern um mich herum, von der Musik, so dass ich mich trauen kann, vorzutragen, was ich zu sagen habe.
Hinterher.
Ich komme nach Hause, brauche zuvor den Cappuccino im Café und die Fahrt in der U-Bahn zum Sammeln und Nachdenken. Zwei Stunden zuhörend und schweigend Unterwegssein durch die Stadt mit Ziel und Abschluss in der Hospitalkirche hinterlassen Eindruck. Ich fühle mich sortierter, ruhiger. Ich glaube, ich habe eine ganze Menge Ballast in der Hospitalkirche gelassen. Mir kommen die Tränen, so Vieles ist abzuladen. Es ist nicht alles gut. Doch es wird Ostern, auch für mich.
Ort:
Marktplatz/Ecke Schulstraße
Quellen:
Früher galten Essstörungen als „typisch weibliche“ Erscheinung, heute erkranken auch zunehmend Jungen und Männer. Rund 77 % der normalgewichtigen 11-bis 17-jährigen Mädchen und Jungen in Deutschland fühlen sich etwas oder viel zu dick; 29% der Mädchen und gut 15% der Jungen zeigen Symptome eines gestörten Essverhaltens.
Erhebung der Barmer GEK: Die Zahl der Betroffenen stieg bundesweit zwischen 2011 und 2015 um etwa 13 Prozent. Waren 2011 noch rund 390.000 Menschen von Essstörungen wie Bulimie oder Magersucht betroffen, litten vier Jahre darauf bereits 440.000 darunter. (…) Die Dunkelziffer dürfte nach Einschätzung der Kasse aber noch "um Vielfaches höher liegen".
Der Anteil der Männer mit Essstörungen beträgt schätzungsweise rund ein Zehntel. So sind von 100 Magersucht-Patienten der Schön-Kliniken rund acht Prozent männlich, bei Bulimie (Ess-Brechsucht) liegt der Wert bei etwa 15 Prozent. Von der Essstörungs-Krankheit Binge-Eating-Disorder sind rund 20 Prozent Männer betroffen.
Mein Vortragstext zum Nachlesen: Station 3, Essstörungen.
„Mama, toll, Du hast
wieder Nutella gekauft!!“
Inbrünstig ruft dies
mein jüngster Sohn, als er auf der Suche nach einem Brotaufstrich auf das neue
Glas stößt. Er freut sich unbändig, mich trifft seine Begeisterung ins Herz.
Plötzlich und unerwartet.
Warum? Ich kenne sie
nicht, diese Freude über etwas, was man essen kann. Diese Sehnsucht nach einem
Lieblings-Lebensmittel. Diese Vorfreude. Diesen Genuss, wenn es endlich wieder
Nutella gibt. Ich habe das noch nie gekannt.
Ich bin Kathrin (…). Ich
war 13, als ich krank wurde; jetzt bin ich 43. Das macht 30 Lebens-Jahre, die
immer wieder durchkreuzt wurden von Episoden schwerer Essstörungen. Während
dieser Jahre ging ich zur Schule, dann lange ins Ausland, anschließend Studium,
Beruf, Hochzeit, Familiengründung, Hausbau, wieder Beruf... Völlig normal, ein
durchschnittlich schönes Leben, von außen betrachtet. Schaue ich heute in mich
hinein – oder besser: zurück – war es nicht schön, sondern vor allem eines:
schwer. Auch schön, aber – wie gesagt – durchkreuzt.
Es gibt Essstörungen
in vielerlei Ausprägung. Ich war anorektisch, d.h. ich habe die
Nahrungsaufnahme komplett eingestellt. So bin ich sehr dünn geworden, meine
Nerven ebenso wie mein Körper. Dem Schlankheitswahn sichtbar verfallen.
Ich war und bin bulimisch, d.h. ich erbreche selbst induziert die Lebensmittel, die ich während ausgeprägter Essanfälle verschlungen habe. In meinen schlimmsten Zeiten bis zu 7 oder 10 Mal am Tag. Der Konsumgier verfallen, jedoch absolut im Verborgenen, stets heimlich.
Ich war und bin bulimisch, d.h. ich erbreche selbst induziert die Lebensmittel, die ich während ausgeprägter Essanfälle verschlungen habe. In meinen schlimmsten Zeiten bis zu 7 oder 10 Mal am Tag. Der Konsumgier verfallen, jedoch absolut im Verborgenen, stets heimlich.
Die Gedanken kreisen
unaufhörlich in unendlichen Spiralen um alles und nichts, insbesondere ums
Essen, um Erlauben und Verbieten, ums Verstecken, um die Waage und reduziertes
Gewicht, um die nächste Sport-Möglichkeit. Über die Jahre wurde ich außerdem (oder
dadurch ?) schwer depressiv, auch suizidal. Ich habe eine Panikstörung
entwickelt und starken, stressbedingten Tinnitus bekommen. Nicht zu vergessen
die bleibenden körperlichen Schäden wie bspw. eine verletzte Speiseröhre.
So geht es nicht nur
mir. Während meiner Klinikaufenthalte habe ich viele essgestörte Mädchen und
Frauen, auch Männer, getroffen. Uns verbindet der Wunsch, es allen recht zu
machen und am liebsten gar nicht aufzufallen. So gut oder besser als alle zu
sein, so dünn wie der Rest der Welt scheinbar ist. Und dabei doch gesehen zu
werden. Jedoch: Dieses Ziel ist nicht zu erreichen. Der dünne Körper ist nie
dünn genug. Unsere Mittel entspringen nicht dem natürlichen Ehrgeiz oder gar
Körpergefühl, sondern einer massiven Störung. Einer Störung mit Suchtcharakter:
Ess-Brech-Sucht, Mager-Sucht, Fress-Sucht, so werden sie genannt.
In Zahlen:
- Früher waren vor allem Mädchen und Frauen von Essstörungen betroffen. Heute sind ca. 10 Prozent der Betroffenen Jungen und Männer.
- Insgesamt sind in Deutschland rund 440.000 Menschen erkrankt. Die Dunkelziffer liegt vermutlich um ein Vielfaches höher.
- Ein Beispiel, ein Versuch, ganz praktisch zu helfen: Am Schillergymnasium in Marbach gibt es Multiplikatoren (Lehrer) für Essstörungen; Statistiken zufolge könnten ca. 400 Schülerinnen und Schüler allein an dieser Schule betroffen sein. Die Initiative klärt auf und hilft konkret im Bedarfsfall.
Der Suchtcharakter
macht es auch so schwierig, den Teufelskreis aus Essen und Erbrechen oder
Nicht-Essen zu durchbrechen und die Essstörung hinter sich zu lassen. Ein
suchtkranker Mensch agiert im Verborgenen, ganz geheim und ganz allein – oder
in scheinbarer Gemeinschaft im Internet. Der Krankheitsverlauf ist langwierig, oft
lebenslang, häufig von Rückfällen begleitet, sehr ernst und kann durchaus
lebensbedrohlich sein.
Der Ausstieg geht
trotzdem:
Es gilt, die Basics
zu lernen: 3 oder 5 Mahlzeiten am Tag einzuhalten, das Essen zu schmecken, Appetit und Hunger zu
entwickeln, auch das Sattsein zu kennen.
Es gilt zu üben, mühsam das eigene Verhalten bewusstzumachen: jeden Tag, vor
jeder Mahlzeit, bei jedem Snack, bei jedem aufkeimenden Bedürfnis nach Nahrung,
bei jedem Supermarktbesuch, beim Durch-die-Stadt-Schlendern, bei
Essenseinladungen und beim Familienkochen. Immer muss ich Maß halten. Intuitives
Essen, wie meine Söhne es tun, kann ich nicht. Es geht darum, den Umgang mit Essens-Situationen
zu verändern.
Jedoch, meiner
Erfahrung nach gelingt dieser Weg niemals alleine, sondern nur mit
therapeutischer und ärztlicher Unterstützung. Es bedarf großen Mutes und
gleichzeitig großer Verzweiflung, sich zu öffnen. Vom Annehmen erster Hilfe
keimt dann die Hoffnung auf ein anderes, neues Leben, ein Leben ohne Zwang.
Hoffnung wird zu einer Perspektive. Für mich heißt das: Ich kann meinen Körper
nicht annehmen, er ist niemals richtig und in Ordnung. Darum gehört zum neuen
Leben auch, meinen eigenen, sich durch Gewichtszunahme, Schwangerschaften und
Alter verändernden Körper Stück für Stück zu mögen... Mit seinen Formen und
Rundungen, in seiner weiblichen Schönheit... Zum neuen Leben gehört, meinen
Körper wertzuschätzen, das, was er schon geschafft hat. Ich habe nur diesen
einen.
Und da stehe ich nun.
Hier an der Fressgasse.
Wieder im Leben, voller Staunen. Dafür bin ich dankbar.
Wieder im Leben, voller Staunen. Dafür bin ich dankbar.
Quellen:
Früher galten Essstörungen als „typisch weibliche“ Erscheinung, heute erkranken auch zunehmend Jungen und Männer. Rund 77 % der normalgewichtigen 11-bis 17-jährigen Mädchen und Jungen in Deutschland fühlen sich etwas oder viel zu dick; 29% der Mädchen und gut 15% der Jungen zeigen Symptome eines gestörten Essverhaltens.
Erhebung der Barmer GEK: Die Zahl der Betroffenen stieg bundesweit zwischen 2011 und 2015 um etwa 13 Prozent. Waren 2011 noch rund 390.000 Menschen von Essstörungen wie Bulimie oder Magersucht betroffen, litten vier Jahre darauf bereits 440.000 darunter. (…) Die Dunkelziffer dürfte nach Einschätzung der Kasse aber noch "um Vielfaches höher liegen".
Der Anteil der Männer mit Essstörungen beträgt schätzungsweise rund ein Zehntel. So sind von 100 Magersucht-Patienten der Schön-Kliniken rund acht Prozent männlich, bei Bulimie (Ess-Brechsucht) liegt der Wert bei etwa 15 Prozent. Von der Essstörungs-Krankheit Binge-Eating-Disorder sind rund 20 Prozent Männer betroffen.
Schillergymnasium
Marbach: