Sonntag, 23. Juni 2019

Ich bin...

... eine gute Tochter.

4 Tage lang war ich eine gute, liebe, aufmerksame, gastfreundliche, lustige Tochter, Bäckerin und Köchin. Jetzt bin ich völlig geschafft, brauche nur noch meine Ruhe und weine meinen Fingernägeln hinterher.

Sehnsucht nach den Enkeln.

Labyrinthisch.
Alles klar, alles gut. Die Großeltern wollen ihre Enkel besuchen. Das dürfen sie. Wir finden ein Wochenende, sie buchen ihr Hotelzimmer. Bei uns ist es zu trubelig; und ich muss sagen, dass mir das inzwischen auch sehr recht ist. Mehrfach bekommen wir zu hören, dass das Aufwachsen der Kinder ja völlig an ihnen vorbei gehe. Es gibt weitere Spitzen, das ist wohl völlig normal. Jedoch: Mein Vater gefällt mir jedes Jahr besser, meine Eltern gemeinsam sind wunderbar. Neben schönen Unternehmungen, Theater- und Stadtbesuchen gibt es viel Gelächter, freundliches Erzählen, gutes Essen.

Das Mutter-Tochter-Ding. 

Es gibt auch, natürlich, die Stunden alleine mit meiner Mutter. Oder die Momente der Nur-Mutter-Tochter-Gespräche am großen Esstisch, während nebendran das fröhliche Durcheinander zwischen Opa, Vater, Schwager und den Jungs tobt. Ich genieße sonst dieses Chaos in meiner Küche und an meinem riesengroßen Esstisch. Heute allerdings bleibe ich zurück mit einer fett-gefüllten Leere voller Erleichterung, dass ich diese Tage, für die ich Urlaub nehmen musste, nun hinter mir habe. Für meine Eltern waren die Stunden ein Geschenk, glaube ich und hoffe ich. Der Vater meiner Söhne war ein guter Schwiegersohn, er hat mir viel geholfen, so dass ich eine gute Tochter sein konnte.

Diese fett-gefüllte Leere enthält alle Aussprüche, die ich mir von meiner Mutter anhören durfte. Damit habe ich gerechnet, ich habe mich schon vorher hart gemacht. Im konkreten Fall sind sie trotzdem schwer zu ertragen. Mein Schwager sagt: "Du siehst toll aus", als ich mich für's Theater richte. Von meiner Mutter würde ich das niemals hören. In ihren Augen bin ich eine wandelnde Gewichtszunahme ("Ich will Dir ja nicht zu nahe treten, aber..."). Wir bekommen Schokolade mit den Worten geschenkt: "Papa und ich dürfen die nicht aufmachen, sonst essen wir sie noch." Ständig heißt es: "Morgen brauchen wir jetzt wohl nichts mehr zu essen." oder: "Normalerweise esse ich nie so viel." oder: "Heute hast Du aber wirklich mager gekocht." oder: "Sahne gibt es bei uns nicht." oder: "Guck' mal, die Hose kann ich doch anziehen." oder: "Hach, den Bauch kriege ich trotz aller Mühen einfach nicht weg." oder: "Ich habe keinen Hinterkopf mehr, meine Haare sind völlig platt." oder: "Größe 42 MUSS passen." oder: "Nein, wir brauchen nichts zu essen vor dem Theater." oder: "Alkohol hat zu viele Kalorien." oder: "Was soll die Nachbarin bloß denken." oder: "Ist das Foto jetzt endlich gemacht, dann kann ich aufhören, den Bauch einzuziehen!" oder oder oder oder oder oder ...

So, nun ist es raus. Nochmal durchgelesen, finde ich diese Sammlung fast lächerlich. Nichts, um tief getroffen zu sein oder sich aufzuregen. Das weiß ich. Doch mich macht meine Mutter wahnsinnig damit. Ich höre diese Phrasen schon mein ganzes Leben lang. Meine Mutter weiß (inzwischen) von meiner Erkrankung - es macht keinen Unterschied, eher werden diese Aussagen verstärkt hervor gebracht. Meiner Schwester gegenüber sagt unsere Mutter derlei Dinge nicht - oder meine Schwester registriert es nicht, auch das ist möglich. Jeden Abend, als meine Eltern im Hotelbett schliefen und hier endlich Ruhe einkehrte, habe ich noch ein Glas Wein getrunken - und meine Fingernägel abgekaut. Ich wusste gar nicht, dass ich sie so tief herunterknibbeln kann. Nun tun sie weh, sehen aus wie damals als ich klein war: blutig, aufgequollen. Morgen, im Büro, muss ich meine Hände vor den Kolleginnen verbergen. Sehr peinlich. Was werden die anderen wohl von mir denken?

Das Kathrin-Ding.

Ungeschönt und echt.
Normalerweise putze ich mein ganzes Haus, bevor meine Eltern kommen. Dieses Mal lag die letzte Putzaktion schon 1 Woche zurück und die Wollmäuse waren längst wieder da. Ich hatte nur die Wäsche gemacht und etwas aufgeräumt. Zwar habe ich durchaus frisch gekocht, doch es gab auch Spaghetti mit Fertig-Pesto und Joghurt zum Nachtisch, dazu eine Möhre. Meine Eltern haben mich mit Sport-Top und Tights gesehen, weil wir in der Boulderhalle waren und sie mitgenommen haben. Ich kann mich nichtmal selbst im Spiegel ansehen, aber meiner Mutter habe ich mich so gezeigt. Meine Haare sind immer noch nicht gefärbt, obwohl meiner Mutter die grauen Strähnen nicht gefallen, und ich war ungeschminkt unterwegs. Man kann mein Alter sehen. Und meinen Bauch. Auf den bin ich wirklich nicht stolz, ganz im Gegenteil. Aber ich merke, dass ich mich in Teilen frei machen kann von den Konventionen meiner Kindheit und den Aussagen meiner Mutter. Das ist gut. Auch wenn ich meine Fingernägel gelassen habe, kam es zu keinem Fressanfall. Ich habe nur trotzig mal ein Stück Kuchen mit extra Sahne gegessen. Den Druck konnte ich anders ablassen. Nächstes Mal, und ich hoffe wirklich auf ein nächstes Mal, will ich noch besser damit umgehen können.

Zeit für eine Pause

Umbrüche. Abschiede. Ich ziehe mich zurück, der Blog macht Pause. Gründe dafür gibt es viele, der Wichtigste: Mit dem Essen komme ich zurech...