Samstag, 26. August 2017

Zusammenbruch

Mein Zusammenbruch - näherte sich schleichend, kam dann explosiv und allumfassend

Meine lange Geschichte

 

Wo bin ich gestartet? 

Vor einigen Jahren rotierte ich in verantwortungsvoller Position im Beruf, versorgte viele kleine eigene und befreundete Kinder, meinen Ehemann, dazu Haus, Handwerker, Auto sowie die erweiterte Familie. Alles lief gut, klappte bestens. Alle waren zufrieden. 
Die Bulimie begleitete mich schon seit meiner Jugend, stets in Phasen mit wechselnder Intensität. Und stets verborgen vor meinem Umfeld.

Erste Alarmzeichen 

Mein Zusammenbruch: Schokolade aus dem 
Bauch und Steine in den Schuh.
Irgendwann in diesen Monaten verging mir der Appetit, ich hörte einfach auf zu essen. Ich kam ohne Mittagspause aus, musste nicht mehr erbrechen, sehr angenehm. Für Frühstück und Abendessen war ich viel zu müde, auch das ließ ich aus. Mein Umfeld belog ich hinsichtlich bereits erfolgter Mahlzeiten. So wurde ich körperlich immer weniger, eine tolle und sehr erfolgreiche Diät. Zusätzlich betrieb ich nicht täglich, jedoch mindestens 4x pro Woche Ausdauersport.

Allerdings: Meine Nerven lagen blank, alles und jedes reizte mich, ich konnte meine Kinder sehen, aber nicht mehr erkennen, war ihnen überhaupt nicht mehr zugewandt. Ich konnte nicht mehr mit ihnen lachen, mich nicht mehr mit und an ihnen freuen. Ich schlief nicht mehr, die Gedanken kreisten unentwegt: Darum, was ich (wieder) nicht erledigt hatte, wie ich den nächsten Tag bloß schaffen sollte. Ich konnte mich auf keinen Text mehr konzentrieren, nicht mehr zuhören. Ich zog mich vollständig zurück. Dass das nicht gut ist, habe ich irgendwann kapiert.

Eine Entscheidung

Meine Kollegen sorgten und bemühten sich um mich. Ich liebte meine Arbeit. Trotzdem zog ich die Bremse: Ich kündigte und hörte auf zu arbeiten. Das war 2013. Es fiel mir unendlich schwer, war wirtschaftlich (mein Mann verdient unser Familiengeld) und persönlich (ich war wieder präsent) aber die richtige Entscheidung. Die Kinder kamen nach der Schule nach Hause, das Familienleben entspannte sich deutlich. Aha, ich erkannte: Die Verantwortung liegt also gefühlt alleine bei mir. Die Kombi Beruf und Familie lief bei mir nicht, diesbezüglich hatte ich ziemlich versagt. Das nagt auch heute noch an mir, für den Moment schien alles besser zu werden.


Nix geht mehr 

So verstrich ein Jahr, langweilig war mir nie. Ich stresste mich mit allem, auch mit noch mehr Sport. Perfektionierte meinen Haushalt, und wurde doch nicht fertig. Dann kam der Tinnitus. Zusätzlich erlitt ich Schweißausbrüche mit Herzrasen, Doppeltsehen und Übelkeit in der U-Bahn, beim Autofahren, in der Umkleidekabine beim Kaufhof, in meinem geliebten Schwimmbad beim Bahnenziehen. Die ärztliche Abklärung ergab: Gesund. Fazit: Panikstörung. Depression. Ruhe hilft, sagte mein Doktor. Aber ich konnte gar nicht mehr raus! Eine Katastrophe und mit aktiven Kindern nicht kompatibel. Meine gesamte Energie musste ich darauf verwenden, Ausreden zu erfinden, um mich bloß nicht aus meinen bekannten vier Wänden heraus wagen zu müssen. Ich war wieder voll drin im Fressen und Kotzen. Sonst ging Ende 2014 nix mehr...


Der Stoß von außen

Der Tinnitus raubte mir den letzten Nerv, ich schlief nun überhaupt nicht mehr. Und suchte Hilfe beim HNO. Erstmals bekannte ich mich zu meiner Essstörung - und stieß anstatt auf entsetzte Abwehr auf entsetztes Verständnis und den spürbaren Wunsch, zu helfen. Ich ließ mich auf Akupunktur ein: Mehrere Sitzungen verbrachte ich in seiner Praxis. Immer fiel ich sofort in einen langen, tiefen Schlaf. 

Einmal aber wachte ich nicht erholt, sondern völlig verzweifelt auf, weinte das ganze Kopfkissen nass. Mir fehlte die Kraft zum Aufstehen. Ich wusste meinen Namen nicht mehr, konnte einfache Fragen nicht mehr beantworten. Doch ich gewährte Einblick in mein Innerstes und beschrieb meine suizidalen Gedanken. Der Doktor wahrte Abstand, stand mir bei und hörte zu, fragte nach, bohrte sogar. Dann setzte er einen rettenden Hilfsprozess in Gang: Seine Helferin blieb bei mir (heute sage ich: sie passte auf mich auf), während er telefonierte. Er wandte sich an die Psychiatrische Klinik, sprach mit dem diensthabenden Arzt, er schrieb die Überweisung, er holte meinen Mann für die Versorgung der Kinder aus dem Büro nach Hause. Das Praxisteam setzte mich ins Taxi. 

Und ich stieg vor der Klinik aus, wenn auch voller Angst und nicht ganz freiwillig, und suchte meinen Weg zum Zentrum für Seelische Gesundheit. Der Arzt erwartete mich bereits, war grob informiert. Trotzdem musste ich natürlich die ganze Geschichte erzählen - es wurde ein weiteres erstes Mal, meine persönliche Premiere, eine erste Übung für viele weitere Berichte und der Startschuss für meinen aktiven Weg durch den Behandlungsdschungel.


Kein Allheilmittel, aber ein Anfang 

Schon damals war mir klar, dass mein Elend sich nicht einfach in Luft auflöst, sobald ich einen Fuß in eine Klinik setze. Aber plötzlich spürte ich Hoffnung, dass mir doch noch geholfen werden kann.

Rückblickend muss ich feststellen: Ohne den Stoß von außen, ohne diese tiefste Verzweiflung, ohne die Einweisung in die Klinik durch den HNO, wäre ich nicht aus meinem Loch heraus gekommen. Vielleicht wäre ich wirklich zu einer Gefahr für mich selbst geworden. Weit entfernt davon war ich sicher nicht.

Ich stellte mich der Aufgabe, das Ausmaß meiner Erkrankung(en) zu begreifen, therapeutische Angebote zu finden und anzunehmen, meine Familie zu organisieren, mein Umfeld in gewissem Rahmen ins Vertrauen zu ziehen. Ich stellte und stelle mich den Höhen und Tiefen von Therapien, den Symptomen und den Rückfällen. Ich nahm und nehme lange Abwesenheiten von zuhause bedingt durch weitere Klinikaufenthalte auf mich.


Was will ich damit ausdrücken?

Ich möchte eine Version aufzeigen, wie ein Zusammenbruch aussehen könnte. Vielleicht erkennt sich der eine oder andere darin wieder und kann früher als ich um Hilfe bitten. Bevor er oder sie auch so tief fällt.
Und: Ich will Mut machen! Heute, drei Jahre später, bin ich wieder präsent, kann lachen und meinen Alltag schaffen, fahre wieder Auto und Bahn, bin ins Berufsleben zurück gekehrt, gehe einkaufen und mit Freunden zum Grillfest, bin befreit von vielen meiner Zwänge. 
Zwar ist der Weg beileibe kein Spaziergang, sondern oft beschissen schwer und wahnsinnig traurig, total zehrend und demotivierend, aber es lohnt sich unbedingt. Dranbleiben!

Zeit für eine Pause

Umbrüche. Abschiede. Ich ziehe mich zurück, der Blog macht Pause. Gründe dafür gibt es viele, der Wichtigste: Mit dem Essen komme ich zurech...