Freitag, 1. Mai 2020

Maskiert in die Psychiatrie

Wenn's nicht bitter wär', wär's komisch.


Warum die Masken mir gelegen kommen. Natürlich nicht. Aber eigentlich doch. Ganz persönliche Gedanken zur Corona-Zeit. Formuliert aus Sicht der Psychiatrie-Patientin.
Verloren.
Mir fällt beim Betrachten des Fotos auf, dass ich dringend zum Friseur muss. Selbstgeschnitten ging eine Weile gut, jetzt nicht mehr. Es reicht. Vieles reicht. Covid-19 reicht: Seit 7 Wochen gefangen mit Corona. In mir regt sich Ungehorsam, der Widerstand gegen Auflagen und Regeln. Mir fehlt so Vieles. Ich will nichts bagatellisieren und niemandem schaden. Aber ich will das Leben zurück, das ich mir so mühsam erkämpft habe. Und ich will die Nähe zurück, die Nähe zu meinen Freunden, zum Außen, ich will meine Nachbarsmädchen trösten und selbst auch in den Arm genommen werden. Doch der Reihe nach.

Maskiert in die Psychiatrie. Was ich damit meine? Das ist wirklich kompliziert. Versuch einer Erläuterung. Für mich selbst, aber auch für die, die beginnen zu verstehen. Ich trage schon eine Maske. Sie sitzt wie eine zweite Haut. Sie sieht aus wie ich. Und sie ist perfekt. Weil ich sie so trage, wie ich glaube, dass es sich gehört.

Mehr als die Hälfte meines Lebens war diese Maske makellos: Ich weinte vor Trauer, als ich mein Baby verlor. Ich schrie vor Schmerzen, als ich meine Söhne auf die Welt brachte. Ich weinte niedergeschmettert, als mir gekündigt wurde. Tränen, die nachvollziehbar scheinen, Tränen, die trockneten.

Über allem anderen liegt diese Maske. Ich will sie gar nicht haben, aber sie ist da. Ganz selbstverständlich und vollumfänglich sozusagen. Sie drängt sich auf, spielt sich fröhlich in den Vordergrund, schäkert mit dem Gegenüber, witzelt, lacht und sprüht. Sie ist mit mir erwachsen geworden. Vielleicht auch nur älter.

Seit einigen Jahren nun lasse ich die Risse zu, wie die Falten in meinem Gesicht. Es war ein langer, harter Prozess, mich selbst anzuschauen, mich auszuhalten und zu ertragen, wie ich wirklich bin - mit meinen Gefühlen, Gedanken und in diesem Körper. Der Prozess dauert an.

Darum war ich wieder in der Klinik, in der Psychiatrie. Um zu meinem Termin zu gelangen, musste ich am Sicherheitspersonal vorbei, danach durch die Fieberschleuse. Ausgestattet mit Zutrittserlaubnis und Maske durfte ich endlich das Gebäude betreten.


Dann sitzen wir da, die Leitende Ärztin und ich, jede mit Maske, und schauen uns in die Augen. Was sagen mir die Augen, wenn der Rest vom Gesicht fehlt? Die Mimik ist wie abgeschnitten. Ich kann in diesen Augen nicht lesen!
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Verstecken-Spielen. Andersherum vermag ich mich auch nicht zu öffnen. Im Gegenteil: Die Maske lädt mich zum Versteck-Spiel ein, alte Muster schnappen nach mir wie wilde Tiere, die mich endlich wieder greifen können. Völlig automatisiert beantworte ich Fragen ohne nachzudenken. Mithilfe zutiefst verinnerlichter, stereotyper Belanglosigkeiten liefere ich, was erwartet wird. Allein die Reaktion der Ärztin zeigt mir, dass sie mich durchschaut: Sie stockt, sieht mich länger an als notwendig, verkneift sich aber das Nachhaken. Denn: Wir dürfen uns gemäß Corona-Schutzverordnung nur 10 Minuten bei geschlossenen Fenstern im selben Raum aufhalten. Alles Wesentliche muss also in dieses Zeitfenster passen. Medikation, Testergebnis, Folgeschritte, nächster Termin, Ermunterung, Abschied. Für meine Rückschritte reicht die Zeit nicht, auch nicht für Perspektiven. Ich frage mich: Wer entscheidet überhaupt, was wesentlich ist? Ich nicht, die Ärztin nicht. Corona entscheidet.

Letzte Stütze. Bei aller Übung und Psychiatrie-Erfahrung brauche ich Zeit zum Warmwerden. Die Sitzungen bei meinem wunderbaren Therapeuten vergingen zu schnell, weil ich es stets erst in der letzten Viertelstunde wagte, trotz allen therapeutischen Bohrens und Forderns, die Maske abzulegen. Das weiß ich. Aber ich kann nicht anders. Diese Ankerstunden sind längst ausgelaufen. Nun gibt meine Ärztin mir mit: "Sie haben etablierte Methoden zu kompensieren." Ja,  ich bin Profi. Wie gesagt, die Maske sitzt perfekt. Ob ich will oder nicht.

Meine Ärztin ist für mich die letzte Stütze. Als ich die Klinik verlasse, fühle ich mich haltlos. Die 10 Minuten waren wie ein Kopfsprung vom 5-Meter-Turm ohne Arme, wie ein Box-Schlag ohne Polster. Aufgerissen, aber unversorgt. Wie gut, dass mich die Medikamente tragen. Wäre es anders, hätte ich eine Pistole, würde ich mich jetzt erschießen.

Corona führt mich mit Maske also zurück in die Maske. Welch eine Ironie. Und ich lebe sogar gut damit. Meine Familie geht großartig mit der Krise um. Ich stütze sie alle, ich kompensiere gekonnt. Vielleicht schaffe ich das nur mit Maske? Wer bin ich? Ich möchte glauben, dass ich wahrhaftig Ich bin. Mit und ohne Maske.

Zeit für eine Pause

Umbrüche. Abschiede. Ich ziehe mich zurück, der Blog macht Pause. Gründe dafür gibt es viele, der Wichtigste: Mit dem Essen komme ich zurech...