Sonntag, 28. Oktober 2018

Schallgrenze

Ich.*

Diagnose: Adipöse Depression.


Mein Versuch, so normal zu leben wie mein Umfeld - gescheitert. Einfach laufen lassen - funktioniert nicht. Dabei wünsche ich mir nichts mehr, als ohne Gedanken an Essen und Figur den Tag zu verbringen. Statt dessen sehne ich schon morgens den Abend herbei und immer so weiter, verfluche jede Mahlzeit, alle Freude geht verloren. Es grüßt die Depression. Die Diagnose lautet: Adipositas. Schwarz auf weiß. Von der Ärztin bestätigt.*

Was ist passiert?

Ach, eigentlich gar nichts. In den vergangenen Jahren erlebte ich häufiger diese Phasen: Nicht mehr an die Sucht denken, keine Protokolle, kein Innehalten vor dem Essen, weniger Therapien, locker lassen, Pause von der ewigen Reflexion und schwierigen Disziplin machen wollen. Auch den Rückfall in alte Verhaltensmuster
Belastet.
kenne ich nur allzu gut. Allerdings habe ich stets schnell wieder begonnen, regelmäßig zu erbrechen, diesmal erlebte ich das Erbrechen - mit Einbrüchen - als vorübergehende Episode. Das soll ich gut finden, sagt man zu mir: Endlich zuverlässiger leben ohne E wie Erbrechen. Aber: Zwar habe ich nie wirklich durch das Erbrechen Gewicht verloren, doch ich konnte meine Hosen deutlich länger tragen als jetzt. Nun brauche ich wieder eine neue Größe; inzwischen wiege ich sicher mehr als meine Mutter, das gab es noch nie. Sie wird triumphieren, wenn sie mich so sieht, mit Übergewicht. Und ich bin mir selbst ausgeliefert: Meiner Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, es einfach nicht zu schaffen, dieses normale Leben.


Wie geht es weiter?

Zu viel von mir.
Erstmal die hard facts, sagt mein wunderbarer Therapeut, den ich nun wieder öfter sehe. Also gut, nach einem halben Jahr steige ich todesmutig auf die Waage. Die Katastrophe bestätigt sich: Gewicht hält sich eben nicht an irgendwelche mentalen Schallgrenzen. Der Körper arbeitet mit Energiezufuhr und Energieverbrauch. Weiß ich alles. Mein Körper hat schon anhaltende, sehr schlechte Zeiten erlebt, er bunkert vorsichtshalber, was er kriegen kann. Und ich gebe ihm auch so schön viel, von allem ein Vielzuviel. Mein Innen schämt sich sehr, kann das Außen doch sofort mein Versagen erkennen: Die frisst, die ist maßlos, undiszipliniert, unsportlich. Ja, genauso sehe ich mich. Meine Ernährungsberaterin ist eine tolle, sehr erfahrene Frau. Auch die Frequenz meiner Besuche bei ihr habe ich erhöht. Sie fokussiert sofort auf meine Fehler-Nulltoleranz, diese absoluten Ganz-oder-gar-nicht-Gesetze, die sich wieder in den wenigen, neuen Essprotokollen zeigen - und die nur in
Vielzuviel.
Versagen münden können. Mein wunderbarer Therapeut springt sehr besorgt an auf den Alkoholkonsum, den meine Protokolle schwarz auf weiß ausspucken. Hier droht Gefahr. Ich aber, ich wünsche mich in die Klapse, wie gesagt; jemand soll für mich entscheiden, mir das Essen auf dem Tablett mit einer ordentlichen Portion Tabletten vorsetzen, mich auf die Waage stellen, mir einen Terminplan mit Therapiesitzungen verpassen. So sieht's aus, wenn ich ehrlich bin. Ich möchte nicht mehr weiter machen, aber ich muss. In die allertiefste Depression will ich nämlich nie mehr wieder zurück. Meine Angst ist zu groß, dass ich nächstes Mal nicht heraus finde oder Unwiederbringliches anstelle. Meine beiden Therapeuten machen mir klar, dass sie mir helfen werden. Sie wissen, dass es schwer ist für mich. Darum vereinbaren wir kleine Schritte, ganz konkret. Größere kann ich wohl nicht schaffen. Das große Ganze ist für mich zu schwer zu verändern. 


Warum ist der Weg vom Hirn zum Bauch, vom Verstand zum Gefühl, bloß so weit?

* Anmerkung: Hier hat sich im BMI-Rechner ein Kommafehler eingeschlichen - schon klar. Wunderbar geeignet, um mich tiefer rein zu ziehen in die Depression. Mein BMI liegt bei 25,8. Für meine Ärztin viel zu hoch und für mich sowieso...

Zeit für eine Pause

Umbrüche. Abschiede. Ich ziehe mich zurück, der Blog macht Pause. Gründe dafür gibt es viele, der Wichtigste: Mit dem Essen komme ich zurech...